Ich bin Schäferin auf dem WeidenHof. Keine Wanderschäferin, keine Hüteschäferin, keine mit vielen hundert Schafen. Wie das wirtschaftlich funktioniert, könnt Ihr auf den Seiten des WeidenHofes nachlesen. Das hier ist die Seite einer Schäferin, die kaum etwas mehr liebt als den Hauch von Lanolin in der Nase, eine Prise frisch gekautes Raufutter dazu, die Hände in fettigen, warmen Faserlagen vergraben und schnuffelnde Pelznasen im Gesicht. Mag sich komisch anhören, aber es gibt nichts Besseres auf der Welt, als neben einem Schaf zu sitzen, dem gleichmäßigen Kauen zuzuhören, in seiner Wolle zu wühlen, damit man mal endlich auf die Haut kommt, was dem Schaf wohlige Gesichtsausdrücke entlockt und einfach diese seelenruhige Vertrautheit zu spüren, wenn das Schaf mit seinen wachsamen und liebevollen Augen mit den schelmischen Pupillenschlitzen den Hirtenmenschen betrachtet.
Meine Herde umfasst ungefähr bis hundertfünfzig Tiere, je nachdem, wo wir uns gerade zwischen Lammzeit und Schlachtzeit befinden. Es gibt ab dem Herbst drei Gruppen in meiner kleinen Schäferei. Die Muttertiere, die dann alsbald tragend sind, dann die kleinen Mädchen, die noch wachsen müssen, bevor sie zu Muttertieren werden dürfen und solange von ein paar wenigen Gnadenbrot-Omas begleitet werden und die Bocklämmer, die ab der Geschlechtsreife in einer eigenen kleinen Gruppe gehalten werden. Über den Frühling und Sommer, wenn es keine Bocklämmer mehr gibt und die neuen Lämmer noch ganz klein sind, da ist es eine große bunte Herde aus Moorschnucken, Gotlandschafen und Kreuzungen beider, sowie einem nostalgischen Rest aus Milchschaf – aus der Anfangszeit des Hofes hier. Die drei großen Böcke lungern derzeit dann in ihrer Boygroup zusammen rum und knobeln aus, wer im Herbst wohl zu den Damen darf.
Aber auch wir wandern. Und zwar im Jahreslauf über die Weideflächen unseres kleinbäuerlichen Hofes, wo die Schafe für eine ordentliche Weidepflege sorgen und kleine Ecken des Hofes, die zu verbuschen drohen, wieder frei grasen und knabbern. Landschaftspflege in klein. Wir wandern von Fläche zu Fläche, damit „frische Weide“ auch immer eine frische Weide bedeutet. Manchmal kommen wir dabei an den Kolleginnen vorbei – den drei Zwergziegen, die bei meinen Hühnern leben, um diese vor dem Habicht zu verteidigen. Im Herbst hüte ich meine „Mähdels“ gerne mal entlang der unzähligen Hecken des Hofes, weil sich in diesen auch etliche Eichen befinden und ihre schmackhaften Früchte fallen lassen, die von den Mähdels dann begierig geknackt werden. Oder auf ein paar Lupinenfeldstückchen, Gründüngung oder abgeernteten Kohlbeeten der Gärtnerei des Hofes. So können die Mähdels das tun, was man mit Schafen schon immer gerne getan hat. Abgeerntete Felder nachweiden, wobei die Schafe das verwerten, was der Mensch nicht mehr nutzen kann. Dabei erzeugen wir Lammfleisch, Schaffelle und Wolle. Vielmehr, die Mähdels tun das. Ich sehe nur zu, dass sie rundum glücklich und zufrieden sein können.
Viel wichtiger scheint mir bei all dem aber, dass wir daran arbeiten, dass Mensch und Tier auch in so einer schwierigen Beziehung wie der „Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere“ zueinander finden. Wir haben viel Kontakt zu Menschen. Kindergartengruppen besuchen uns, Hofmitglieder kommen regelmäßig mit ihren Kindern zu uns und wir informieren über den WeidenHof über viele Themen wie artgerechte „Tierhaltung“. Warum ich das in Anführungsstriche setze? Ganz einfach. Weil ich es nicht mehr zeitgemäß finde, in Worten von Lebewesen zu sprechen, die die Emotionalität im alltäglichen Leben miteinander ausschließen. Ich lebe von meinen Schafen. Und ich lebe mit ihnen. Beides muss in Einklang gebracht werden, wollen wir etwas entwickeln, was beiden – Mensch und Tier – gerecht wird.
Wir erleben die Trennung von der Natur heute mehr denn je – und subtiler denn je. Nur noch ein kleiner Teil der westlich-europäischen Bevölkerung lebt und arbeitet in Naturzusammenhängen, in der Landwirtschaft zum Beispiel. Das heißt, nur noch ein kleiner Teil der Menschen hat direkten Kontakt zum Kreislauf des Lebens und was mit ihm alles zusammenhängt. Dieser Teil der Menschen sieht sich einem enormen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt und der Abhängigkeit davon, was Experten in theoretischen Diskursen ausarbeiten und schließlich zu Auflagen für diese Art von Arbeit machen. Der Rest der Bevölkerung erfährt oftmals schmerzlich die Trennung von der Natur und wünscht sich auf vielfältige Weise wieder eine Einbindung in diese. Oftmals entsteht dadurch ein verklärtes Bild, von dem, was Natur sein möge oder was gut für unsere Natur und unsere Tiere sei. Ein wirklich sinnvolles ökologisches Gleichgewicht braucht Menschen, die sich Gedanken machen, wie wir dahin kommen können und gleichzeitig Menschen, die daran arbeiten. Und dann müssen alle zusammenfinden, diese und jene Menschen, die Tiere, die Pflanzen, die Wirtschaft, …
Daran arbeiten meine Mähdels hart das ganze Jahr hindurch. Sie suchen Kontakt zu den Menschen, mal mehr, mal weniger und offenbaren ihr Schafwesen. Sie zeigen den Menschen, was eine schöne, artenreiche Grünlandfläche ist, die sie am liebsten fressen, was eine ordentliche Wollproduktion ist, aus der wir wieder etwas machen müssen, ohne sie auf den Kompost zu schmeißen, was eine anständige Lämmeraufzucht ist, ohne Mütter und Kinder gierig zu trennen, was eine gemäßigte Eiweißversorgung des Menschen ausmacht, ohne verzüchtete Fettsäureketten, was einen fairen Umgang mit so hingebungsvollen Wesen bedeutet, die dann friedlich und fröhlich auf allen Wegen mitgehen und wie es sein kann, wenn wir uns gegenseitig geliebt fühlen, weil der Mensch den Tieren mit Sinn, Herz und Verstand begegnet.
Und ich? Ich steh eigentlich wiedermal nur daneben und seh zu, dass alle Mähdels rundum glücklich und zufrieden sein können. Die eigentlichen Akteure sind meine Mähdels, um die sich alles dreht, Leben und Arbeit. Und mein Hund natürlich. Der mir beim Arbeiten ein bisschen hilft. Aber eigentlich arbeitet der nicht so hart, so oft wie der auf der Wiese oder dem geöffneten Strohballen rumgammelt. Der freut sich nur, wenn er mir beim Schafe-Führen kopfschüttelnd zeigen kann, was ich alles falsch mache. Und abends in kalten Winternächten, wenn ich die Tastatur bearbeite, liegt der schnarchend vor dem knisternden Ofen und träumt … irgendwas, was sich verdammt gut anfühlen muss.