Was machen eigentlich Milchschafe im Moor? Moormilch? Die kommen doch eigentlich aus Ostfriesland, wo die Weiden fett und eiweißreich sind und die Schafe groß werden…
Ja, diese Frage treibt mich auch immer wieder um. Ich will mit diesem Beitrag, der den Anfang meines Blogs bildet, ein wenig erzählen, wie es dazu kam. Denn auch das Milchschaf steht für mich am Anfang von allem.
Meine ersten Schäfchen waren vier verlotterte Milchschafdamen. Damals wusste ich noch nichts über den genauen Zustand der Damen und auch der Vorbesitzer, dessen „Schafhaltung“ ich übernahm, konnte mir keine genauen Angaben machen. Da gab es Aufzeichnungen über Mutterschaf und Bock, die aber den realen Tieren draußen nicht mehr zugeordnet werden konnten. Und so kam es auch, dass sie mir zwar stolz mit Namen vorgestellt wurden, aber nach Wochen eigener Einarbeitung in die Materie fand ich heraus, dass er selbst bei vier Schafen die Namen vertauscht hatte.
Es kennzeichnet mich, dass ich bei größeren Herausforderungen meist erst recht volle Fahrt aufnehme, also hab ich mir diese vier Damen mal genauer angeschaut und sie auf Vordermann gebracht. Vorderschaf – denn eine von ihnen wurde sowas wie die Ahnschäfin meiner heutigen Herde, wenn auch nur für die späteren Milchschafdamen und -Kreuzungen.
Leider hatte sich durch Studium seiner „Aufzeichnungen“ herausgestellt, dass zwei der vier Damen Töchter der großen Braunen waren. Leider – denn ich hatte schon den Bock dazugestellt, weil mir nach mehrmaligem mündlichen Nachfragen versichert wurde, diese Schafe seien alle älter als ein Jahr. Oder so. Heute weiß ich, dass „oder so“ übersetzt ungefähr heißt: „ich hab absolut keinen Plan von dem, was ich hier tue.“
Nun gut, sei’s drum. Ich hatte nun zwei tragende Mutterschafe und zwei tragende Noch-Nicht-Jährlinge und einen unglaublich nervigen Bock. Ich habe den Eindruck, bei den Milchschafböcken gibts nur zwei Typen. Entweder sind sie so dermaßen bekloppt und fehlaggressiv oder sie sind sanftmütige Lämmchen. Mein Erster war leider von ersterer Art, was ihm zur Zeit der Lämmer dann folglich den frühzeitigen Gang in die Tiefkühltruhe bescherte. Ich würde im Herbst nochmal sehen müssen, was wird. Meine große Braune benahm sich vorbildlich und gebar zwei Mädchen, braun und gescheckt, die heute noch als älteres Kaliber gesunde Lämmer machen. Meine große Weiße hatte sich leider übernommen und neben den drei Lämmern, die sie gebar, noch eine Darmentzündung hervorgebracht. Von den jungen Damen hatte eine zum Glück alles im Griff und benahm sich wie ein anständiges Muttertier. Die andere war leider völlig überfordert. Ein Lamm wurde sehr schwach geboren und ich legte mich ins Zeug, was ich konnte, aber alle Bemühungen halfen nichts. Es schlief an einem sonnigen Tag in meinen Arm gekuschelt auf meinem Bauch ein, während wir es uns auf einem Liegestuhl in der frühlingshaften Wärme gemütlich gemacht hatten. Ich habe es gestreichelt und seinem kleinen verletzlichen Körper dabei zugesehen, wie der Atem immer schwächer wurde und irgendwann sein Gesicht leblos war. Meine Tränen liefen auf das kleine Lammgesicht und ich wurde berührt von diesem kleinen Wesen einer zu uns so unterschiedlichen Spezies, die aber offensichtlich die Fähigkeit hatte, sich uns Menschen mit einem Vertrauen hinzugeben, das dem zwischen uns Menschen selbst oftmals um Längen voraus ist.
Die Schwester des gestorbenen Lamms wurde ein Flaschenkind. Auch voller Vertrauen. Einmal, als ich noch schnell zur Küche musste, die gleich beim Schafstall um die Ecke lag, hatte ich vergessen, das Lamm wieder einzusperren, welches bei Fütterungen oft die Angewohnheit hatte, aus der offenen Box mit mir mitzulaufen, wenn ich Stroh, Wasser oder Heu holte. Ich hatte noch kurz überlegt, aber mich daran gehalten, dass Schafe ja immer gerne in ihrer Herde sind. Das Lamm lungerte in der Nähe der Boxen rum, stöberte hier und da und vergewisserte sich immer mal, dass die anderen Schafe noch da sind. Alles, wie es so ungefähr sein soll. Schnell zur Küche, Flasche holen und zurück. Genauso musste ich jedoch wohl vergessen haben, die Küchentür zuzumachen, denn als ich noch über dem Küchentisch hantierte, flitzte hinter mir etwas vorbei, was im Augenwinkel klein, weiß und flauschig war und auf dem steinernen Küchenboden trappelnde Klauengeräusche machte. Nebenan wurde meinem damals vierjährigen Sohn von seinem Vater gerade eine Gutenachtgeschichte vorgelesen, die beiden hatten es sich in unserem Bett gemütlich gemacht. Auch diese Tür stand offen, es muss wohl ein Tag gewesen sein, an dem man gut hätte sagen können: „bei mir rennste da offene Türen ein“, denn genau so war es. Das kleine flauschige Etwas düste an mir vorbei, geradewegs ins Schlafgemach, entdeckte die Menschen in ihrem kuscheligen Lager und sprang mit einem gewaltigen Lämmersatz auf die Bettdecke meines Sohnes, schaute in die Gesichter von Vater und Sohn und forderte blökend nach Milch.
Für einen kurzen Moment stand die Welt still. Ist das jetzt das Paradies? Was könnte man an der Stelle alles schreiben über Kinder, die mit lustigen Tiergeschichten aufwachsen, die eng mit der Natur groß werden und den ganzen Facettenreichtum des Lebens kennenlernen dürfen. Oder über die Beziehung zwischen Mensch und Tier, wie sie liebevoll und respektvoll gestaltet werden kann. Oder über Tierhaltung, die sich von einem reinen „Produzieren“ zu einem „Leben mit den Tieren“ entwickelt. Jeder darf dabei sein eigenes Kopfkino anschalten, denn darüber ist schon so viel geschrieben worden, ich bleibe lieber bei meinen eigenen Geschichten.
Und so war es einfach ein kleines freches Lamm in meinem Bett. Ich schnappte mir den Höhenflügler und die Milchflasche, ließ Vater und Sohn noch lustige Schafwitze machen und ging mit Lamm und Flasche unterm Arm wieder zurück in den Stall. Nachdem der Lämmerbauch voll war und selige Schlummrigkeit auf das Gesicht schlich, unterstützt vom einschläfernden Käuen der anderen Damen, legte ich mein Anhängsel in eine schöne weiche Strohkuhle und versuchte, schnell die Boxentür zu schließen. Das Lamm schien wie durch ein unsichtbares Gummikleisterband an mir zu kleben und ich musste mich anstrengen, die kleine Nase nicht mit der Tür einzuklemmen. Trotz heftiger Protestschreie aus einer winzigen Kehle wünschte ich den restlichen Damen eine gute Nacht und schickte das Aufmupflamm zurück. So, du schläfst jetzt da, du bist ein Schaf, vergiss das nicht!
Man sagt immer, Milchschafe sind an den Menschen gewöhnt durch den engen Kontakt, was sich in ihrer Rasse mittlerweile genetisch niederschlägt. Das ist richtig, aber ich möchte meine kleinen Geschichten ergänzen, die ich mit den Schafen erlebt habe, denn erst Geschichten vermögen Bilder in Menschen zu erzeugen, was wissenschaftlich gehaltenen Rasse-Beschreibungen nicht gelingt. Wenn wir uns mit einer Tierart beschäftigen, sind Rasse-Merkmale und Leistungsparameter nur ein Teil davon. Genauso wichtig, um eine Wesens-Art kennenzulernen ist es, den Alltag mit diesen Wesen zu teilen und sie in ihrer Kommunikation, ihrem Verhalten und ihren Bedürfnissen zu spüren, zu erleben und letztlich einfach ein auf ein gutes wissenschaftliches Fundament gestelltes Gefühl für sie zu entwickeln.
Um die Geschichte der Milchschafe auf dem WeidenHof zuende zu erzählen: Die Mutter der „Tüddellämmer“ erholte sich nie ganz von ihrer frühen Trächtigkeit. Ich bin durch mehrere Geschichten der Art dazu gekommen, dass ich persönlich auch frühreife Schafrassen lieber erstmal Geburtstag feiern lasse, bevor die Jungdamen zum Bock dürfen. Meist lohnt sich das Warten und ich musste solche Geschichten zum Glück nie wieder erleben. Auch das mit der Darmentzündung hatten wir hinbekommen und ich lernte anhand der anspruchsvollen Milchschafe eine Menge über medizinische Aspekte der Schafhaltung. Wissen, das ich heute nicht mehr missen möchte, denn es ermöglicht mir, recht schnell zu reagieren und das Richtige zu tun, bevor das Schaf wirklich ernsthaft krank aussieht. Das ist der Vorteil von Herausforderungen. Man ist, wenn man sie überstanden hat, um einiges schlauer.
Im Herbst schauten wir uns erstmal nicht nach einem Bock um, denn wir bereiteten uns auf den Umzug auf den WeidenHof vor. Die Milchschafe hatten sich zahlenmäßig verdreifacht und wir zogen als minikleine Schafherde mit Schäferin in die Ausläufer der Heide, wo eigentlich mal das Moor war.
Damals hatte ich mir erhofft, dass das alles kein Problem sei, denn es sind doch schließlich alles irgendwie Schafe. Es muss doch möglich sein…. Ja, man kann auch Milchschafe im Moor halten, aber es erfordert gemäß den Ansprüchen ihrer Rasse einen ungeheuren Betreuungsaufwand und auch einges an Substituierung, um diese großen Schafe hier gesund zu halten. Wiedermal zeigte sich, dass das Konzept des WeidenHofes, angepasste Rassen zu wählen und möglichst in Kreisläufen zu wirtschaften, wirklich sinnvoller ist, als der Natur etwas aufdrücken zu wollen.
Aber was sollte ich machen? Sie waren nun einmal da, jede mit ihrer Persönlichkeit und Geschichte. Ich konnte sie nicht einfach austauschen wir ein kaputtes Ackergerät. Also bleiben sie neben der neuen WeidenHof-Rasse aus Moorschnucken einfach dabei. Meine große Braune ist heute die Ahnfrau, Oberleitschaf, wohlverdiente Rentnerin, Anfüherin der lernenden Jährlingsschafe und Hüterin der Schafgesetze. So lässig, wie sie den Hütehund an sich vorbeiflitzen lässt, das traut sich keine andere. Drei Damen stehen noch in voller Produktion und sehen ihrem Arbeitsabend entgegen, wie auch immer wir den dann gestalten werden. Andere haben uns unterwegs verlassen, wie die Mutter der Tüddellämmer, die nach ihrem ersten WeidenHof-Sommer dann ihrer Schwäche erlag und noch Arm in Arm mit mir gemeinsam zu nächste Weide gegangen ist. Oder die, denen der Mineralzustand der alten Niedermoorböden einfach zu viel zu schaffen machte oder eben auch die, die als Schafwurst in die Wirtschaftsgemeinschaft des WeidenHofes eingegangen sind und dadurch unserem Hof zum Leben verhalfen. Mir ist gleich, auf welche Art ein Schaf stirbt, es hat dabei immer unseren größtmöglichen Respekt verdient. Ob ein Muttertier Jahr für Jahr Lämmer macht oder ein Bocklamm seiner Bestimmung entgegen geht, beide leisten etwas, für das wir wieder unsere Dankbarkeit fühlen lernen können, wenn wir uns mit dem Wesen verbinden und nicht nur „Fleischproduzenten“ in Nutztieren sehen.
Und da gibt es noch ein Schaf namens „Nacht“, das zur ersten erklärten ausschließlichen Wollproduzentin wurde, aber von ihr werde ich an anderer Stelle mal erzählen.
Ansonsten wird die „Milchschaflinie“ wohl in ein paar Genarationen verschwunden sein. Der Tribut an dieses wunderschöne alte, urbar gemachte Moor hier ist leider diese anspruchsvolle Rasse. Aber ich habe mir etwas ausgedacht und die Milchschafe mit dem Moorschnuckenbock zusammengelassen. Momentan stehen hier ein paar wunderschöne Jungdamen herum, die im Sommer ihr Potential entfalten sollen und dann sollen einige von ihnen hier weitermachen. Moormilchschafe. Oder Milchschnucken. Ich weiß noch nicht, wie ich diese Rasse nennen werde. Vielleicht einfach WeidenHof-Schafe. Oder Nebelschafe – denn die große Braune, von der die meisten von denen irgendwie abstammen, heißt Nebla.