Eben noch war alles Tod und Vergehen, alles war welk geworden, gestorben und erstarrt, gefroren, verschneit, getaut und im Matsch versunken. Schlachtzeit war es, Verabschiedungen standen an, von geliebten Tieren, vom Jahr, vom Sommer, vom Licht. Und nun soll es schon wieder Geburten geben. Man ist selbst noch nicht einmal ganz runtergekommen vom Arbeitspensum der Weidezeit. Von wegen „im Winter wird es ruhiger“. Da müssen die Tiere rein, Ställe vorbereitet werden, die letzte Wurzelernte eingefahren, Gemüse gelagert, sortiert, landwirtschaftliche Infrastruktur frostfest gemacht werden. Und die Tiere täglich gefüttert – mit dem konservierten Sommer. Immer nach einem besonderen Konzept. Die Schafe bekommen erst „minderwertigeres Heu“, also zweiter Schnitt, Naturschutzflächenheu, dann langsam „besseres“, also welches, was einfach mehr „Nährstoffe“, mehr Eiweiße hat. Dennoch braucht es immer ausreichend Rohfaser und Kräutlein. Erst im letzten Drittel der Trächtigkeit wird langsam hochgefahren auf Heulage, gute Silage und letztlich zu Weihnachten auch Hafer/Erbse -Gemenge. Die Mütter sollen robust bleiben und nicht durch zu eiweißreiches Futter „vermästet“ werden, allerdings sollen sie den nun größeren Föten dann genügend Stoff abgeben können, damit diese dick und rund zur Welt kommen können. Naja – und wenn die Mamas runde Popos haben, ist das auch nicht schlecht.
Aber wo war ich eigentlich? Ja, genau! es ging um dieses Innehalten. Inmitten der Arbeit. Da kommt ein stilles Fest der Freude daher und verkündet die Geburt. Von was auch immer. Vom Licht, vom Jesuskind, vom Erlöser der Welt. Erlösen von den dunklen Schwingen der Nacht, der Kälte zwischen den Menschen, der Erschöpfung, der Trauer, von dem, was die Menschheit eben so plagt. Das Licht kehrt zurück, wie es frühe, schriftlose Kulturen erfahren haben, die immer dunkler werdenden Nächte haben ein Ende und es wird wieder Leben sein, es wird wieder ein neues Jahr kommen, in dem gesäht, gepflegt, geerntet und gelebt werden wird. Allein die Hoffnung auf ein „weiter“ macht auch das Innere des Menschen wieder hell.
Das „Kind“ wird gefeiert, aber es geht irgendwie doch nicht nur um diese Geburt. Geburt an sich ist ein ziemlich anstrengendes, manchmal nervenaufreibendes, anatomisch genau zu begleitendes und oftmals schleimiges Geschehen. Zumindest, ähm – bei den Schafen. Was meist in dieser ganzen heiligen Geburtshuldigung immer im Nebensatz erwähnt wird, ist die Mutter, die geboren hat.
Diese irgendwie göttliche und doch menschliche Mutter. Man weiß es nicht so genau. Und wenn ich ganz ehrlich bin – als Kind habe ich mit der Geburt des Kindes nicht so viel zu tun gehabt. Weihnachten hieß „Heimlichkeit“, zu-Hause sein, geborgen sein, sich behütet fühlen. Alle Lichter sind warm und golden, es duftet nach diesem Baum, der irgendwie heilig schimmert, was auch immer das heißen mag – da macht man sich als Kind nicht so eine Philosophenbirne drum. Und es scheint fast, als gäbe es in der Welt keinen einzigen Funken Boshaftigkeit, geschweige denn den Gedanken daran, dass so etwas möglich sein könnte. Als wäre man von den warmen, weichen und schützenden Armen einer allumfassenden Mutter umhüllt.
Es gibt so etwas, was „nur Mutter“ ist. man sieht es bei den Tieren immer wieder und wenn man das große Glück hat, so eng mit den Tieren zusammen zu leben, darf man es immer wieder erleben, sich davon berühren lassen. Egal, ob es Schafmütter, Kuhmütter oder Mutterhennen sind. Es ist diese Stille, dieser Frieden, diese Weichheit und Stärke, dieser „nur-gute Moment“.
Zu Weihnachten halte ich dann wirklich mal inne. Die Mütter bekommen ihren ersten Hafer und ich sitze noch einen Moment im Stall und höre ihnen beim Knuspern zu. Sie sind dann schon recht rund, mit den Lämmern im Bauch und der dicken Winterwolle. Das nenne ich mal Weihnachtsgefühl! Die Krippe steht mittendrin. Und die werdenden Mamas drumherum. In der atmösphärischen Stille des Stalls und zwischen den raschelnden Schafen kommt dann wieder so etwas wie diese alte heimliche, warme und goldene Geborgenheit von damals. Und ich hoffe in diesen Momenten für alle meine Schaf-Mamas und wünsche ihnen, dass die Geburten sanft verlaufen werden. „Ein kleines Kindlein ohne Schmerzen – das trug Maria unter ihrem Herzen.“ Ja, genau. Frohe Weihnachten, Mähdels! Und dann laufen noch die ein oder andere an mir vorbei, zum Kuscheln, zum skeptisch Beäugen, zum Schnuppern oder kratzen lassen. In manchen Märchen heißt es ja, die Tiere können in den Weihnachtsnächten reden. Bei mir scheinen diese Weihnachtsnächte irgendwie nicht mehr aufgehört zu haben, denn ich rede immer mit meinen Tieren – die reden doch auch mit mir! Aber vielleicht ist das auch nur mein Kopf, der ständig redet, wer weiß das schon. Dennoch stimmt es, dass in diesen Tagen und Nächten der Stall besonders „heimelig“ ist. Es ist etwas ganz besonders Schönes, die Tiere zu Weihnachten zu versorgen. Irgendwie macht schon das Befüllen der Futtertische Freude und ein ordentlicher, hübscher Stall besonders zufrieden. Erst nach diesem Stallbesuch beginnt für uns an diesem Tag der „heilige Abend“.
Es ist tatsächlich das Fest einer „großen Mutter“, alles will behütet sein, alles soll Geborgenheit bekommen. Einmal ist Stille in dieser schwirrenden, wirbelnden Welt und anstelle des alltäglichen Kämpfens tritt leise und tiefe Verbundenheit.
Vielleicht ist es wie, wenn das Feuer im Hintergrund knistert und eine der grandiosen Muttergestalten in der Kinderbuchliteraturgeschichte die Lichter an die Herdstelle legt, während sie ein Schlaflied für ihr Kind singt. Dann ist alles gut, alle Traurigkeit weggesungen und das Kind schlummert sorgenlos ein. Ich mochte Lovis immer schon gerne. Die Mutter von Ronja Räubertochter, die Frau des Räuberhauptmanns und stille und heimliche Chefin der Räuberbande. Selten spielt sie sich in den Vordergrund, denn das hat sie gar nicht nötig. Sie weiß, was sie kann und was sie will und tut es. „Wenn ich beschlossen habe, dass mein Kind Ronja heißt, dann wird es auch eine Ronja.“ entgegnet sie auf die Frage, was gewesen wäre, wenn ihr Kind ein Junge geworden wäre. Wer weiß, was Lovis noch so alles beschlossen hat. Zumindest weiß man, dass sie auf ihr Kind aufpasst und egal, was geschieht, Lovis ist immer da, selbst wenn das Kind seine eigenen Wege gehen muss. Und immer, wenn die Welt drumherum wirbelt, wenn Traurigkeit und Müdigkeit die Seele schwächen, findet Ronja wieder in friedlichen Schlummer, wenn Lovis für sie das Wolfslied singt.
Wer hätte gedacht, dass das Wolfslied von Lovis mal ein Weihnachtslied für mich werden würde. Wenn ich es derzeit im Stall bei den Fütterungsarbeiten summe, ist Stille drumherum und irgendwo ist da eine Lovis, die beschlossen hat, dass wir nun erstmal Weihnachten haben und zur Ruhe kommen. Ganz kurz vielleicht nur, aber eben jetzt für diesen einen Moment knistert ein warmes Feuer im Ofen, die Schafmütter liegen mit ihren Lämmern im Bauch und wenn die müden Augen zugefallen sind, singt Lovis in der Nacht…
Vielleicht soll es ein Hinweis sein, dass das Kind ausgerechnet bei den Hirten in der Krippe im Stall liegt, denn dort findet sich auf einer ganz einfachen Ebene – ohne Gedankenschncikschnack – immer wieder dieser „nur-gute Moment“, wenn eine Tiermutter bei ihrem Jungen ist und man sieht, wie universell dieser Zauber von „Mutter und Kind“ ist. Egal, ob es das heilige Kind, irgendein Kind, ein Lamm, ein Kalb, ein Küken, ein Ferkel, ein Welpe ist – das neue Leben ist zwar ganz winzig, aber trägt doch so große Hoffnung in sich. Und das gilt es zu beschützen. Damit diese Liebe und Verbundenheit zu allem Lebendigen nie aufhöre und wir zumindest einmal im Jahr kurz zur Ruhe kommen und die frohe Botschaft hören, dass solange es Mütter gibt, das Leben selbst nie sterben kann.
With sudden joy and gladness,
The shepherds were beguil’d,
To see the Babe of Israel
Before his mother mild.
O then with joy and cheerfulness
Rejoice each mother’s child.
- O tidings of comfort and joy,
- comfort and joy,
- O tidings of comfort and joy.
In den alten Weihnachtsliedern steckt manchmal vielleicht noch viel mehr drin, als man dachte, wenn man sich das mal von den Tieren erklären lässt. Lasst Euch also froh machen, wie es das englische Weihnachtslied oben sagt, und sei es nur ein kurzer Moment, aber genau um den geht es. Einen Moment Stille und goldene Behaglichkeit. Keine Angst, Lovis singt bestimmt gerade.
Frohe Weihnachten.
Nicole 23. Dezember 2017
Danke für diese schönen Worte! Ich habe heute ein kleines, tapferes Schaf beerdigt, dessen Herz einfach zu schwach war. Sie hat so gekämpft mit ihrem viel zu kleinen Körper und ich weine immernoch, aber dein Text bringt Ruhe und Geborgenheit, sowie die Hoffnung, dass die kleine Ellie jetzt auch in einem heimeligen Stall liegt und ihr Heu frisst. Schöne Weihnachten und immer ein tapferes,starkes und reines Herz.
Nicole und Ellie (im Herzen) mit Mia, Mo, Max, Lui, Lotte, Luzie, Erich, Elfie und meinem Herz-Mann Sven.
Schaeferin 23. Dezember 2017 — Autor der Seiten
hallo nicole,
es gibt auch eine schöne alte weihnachtssage von der hohen frau, der holle, die in den rauhnächten umhergeht und die seelchen der verstorbenen des jahres einsammelt, damit sie in ihrem holle-reich darauf warten können, irgendwann einmal wiedergeboren zu werden. bestimmt ist die holle eine alte hirtenfrau und ellie ist schon vertrauensvoll mit ihr mitgegangen, die göttliche mutter als hirtin und es wird an nichts mangeln….liebe grüße und ein frohes fest der noch da-seienden räuberbande!
anke
Silvia 23. Dezember 2017
Liebe Anke, seufz…. das hast du wieder wundervoll geschrieben!!!!
Danke!
Herzliche Weihnachtsgrüße für dich und deine Schäflein!
von Silvia
Anbei ein kleines Lied zum Träumen… nicht ganz Weihnachten (dein ausgesuchtes mag ich auch sehr) aber soooo schön… und passt irgendwie
https://youtu.be/zOvsyamoEDg