Über Rassemerkmale, Herkunft und das Leistungsprofil der Moorschnucken kann man sich eingehender noch auf der Website des WeidenHofes informieren. Im weltweiten Netz gibt es auch tausenderlei Informationen, besonders schön auf der Seite der GEH (Gesellschaft zur Erhaltung gefährdeter Haus- und Nutztierrassen).
Was mich an diesem nordischen Kurzschwanzschaf aber am meisten beeindruckt, ist die Schönheit, das Gefühl der Ursprünglichkeit im Ausdruck ihres Wesens und die Klugheit, die einem dieses Schaf oftmals beweist. Vorweg: alle Schafe sind klug. Sie verstehen oft mehr, als wir meinen. Als Wiederkäuer sind sie eben einfach Gewohnheitstiere, Bekanntes beruhigt sie und als Herden- und Fluchttier fühlt man sich eben am wohlsten inmitten der großen family, in die man hineingeboren wurde und deren Alltagsabläufe einem wohl – oder „wohlig“ – vertraut sind. Also tut man, was man kann, damit dieser angenehme Zustand erhalten bleibt. Nichts anderes würde der Mensch auch machen. Und nichts anderes macht eben das Schaf, nur dass es dabei Dinge tut, die der Mensch manchmal nicht so wünschenswert findet, wie z.b. geschlossen durch einen noch nicht fertig gebauten Weidezaun zu brechen oder nicht alleine auf einen komischen Anhänger zu gehen, während alle anderen doch auch noch draußen stehen. Dafür dann gleich vom Menschen als „dumm“ beschimpft zu werden, ist vielleicht verständlich, aber nicht besonders nett. Einfacher gehts, wenn der Mensch dann schlau genug ist und sich einen dieser nützlichen, flinken, schwarz-weißen Hunde besorgt.
Bei den Moorschnucken ist dieser Herdentrieb nun besonders ausgeprägt, was das Leben mit ihnen manchmal recht einfach macht, aber manchmal eben auch vor besondere Herausforderungen stellt, wenn man z.B. ein einzelnes Schaf auf der Weide fangen muss, weil es versorgt werden muss. Bei den Milchschafen gibt es da nie Probleme. Ich habe im ersten WeidenHof-Jahr mal drei Milchschafe aus Spaß auf der Weide gemolken und aus ihrer Milch Schafmilchseife hergestellt. Nach kurzer Zeit hatten die Damen verstanden und immer, wenn ich mit Halfter und Eimer kam, wussten die, dass es nun ans Melken geht und die Schäferin unter einem hängt und immer furchtbar flucht, wenn man in den Eimer tritt. Also ließen sie sich ab und zu zu diesem Späßchen verleiten, aber ansonsten blieben sie immer friedfertig stehen, wenn ich ihnen das Halfter anlegte, schoben schonmal den nun gründlich zu durchkauenden Brocken gesammelten Grases hoch und ließen mich gewähren, während sie mit halb geschlossenen Augen käuend auf der Weide standen.
Ganz anders ist es mit den Moorschnucken. Als ich meine ersten 10 tragenden Mutterschafe für den Aufbau der WeidenHof-Herde kaufte, sagte man mir, diese Schafe lassen sich niemals vom Menschen anfassen. In den ersten Tagen war das Handling dieser Schafe für mich auch recht gewöhnungsbedürftig. Die kleinrahmigen, wachsamen und viel schreckhafteren Schafe schnellten immer mit ihren Köpfen hoch, wenn ich kam. Sie rückten dann alsbald eng zusammen und beobachteten mich argwöhnisch. Bewegte ich mich zu hektisch, stoben sie davon. Wohlgemerkt – es waren alltägliche Arbeitsbewegungen, die den Milchschafen höchstens ein fragendes Ohrenhochziehen entlockt hätten. Also wurden diese Schafe zu meinen heimlichen Zen-Meistern: Bewege dich, ohne dich zu bewegen. Bewege dich im Fluss der Dinge und der Welt und lass alle deine Bewegungen so harmonisch wie möglich ineinanderfließen. Zen beim Heuballen schleppen, Zen beim Wasser holen und Zen beim Ausmisten. Es war interessant. Zumal unsere anfängliche WeidenHof – Zeit noch viel arbeitsintensiver und handarbeitsdominierter war, als sie es heute ist. Nach getaner Arbeit setzte ich mich oft einen Moment zu ihnen und betrachtete sie, die „Ladies“. Meine Milchschafe waren ja immer die „Mähdels“, aber das hier waren eindeutig „Ladies“.
Und so kam es, dass nach einiger Zeit, als ich den Gedanken schon losgelassen hatte, die erste der Ladies auf mich zukam, als ich bei ihnen im Stroh saß. Ganz langsam und ganz zögerlich, Klaue für Klaue, immer bereit, sofort zurückzuflüchten. Zugegebenerweise war ich ein wenig hinterlistig und hatte ein paar Körnchen Hafer dabei. Sie lagen in meiner ausgestreckt ruhenden Hand und irgendwann hat dieses Schaf todesmutig ein paar davon aus meiner Hand stibitzt. Das war der Anfang unserer Freundschaft. Irgendwann durfte ich das mutige Schaf am Kopf berühren und noch etwas später ließ sie sich ein wenig hinter den Ohren kraulen. Und irgendwann ging das auch ohne Hafer. Da war alles geschafft. Mit der Zeit hatten die anderen auch lange genug beobachtet, dass das mutige Schaf diese merkwürdigen Begegnungen immer überlebte und die ein oder andere kam ihr nach. Hat man eins, hat man die anderen auch.
Heute habe ich ausgeprägte Kuschelschnucken. Unter anderem natürlich. Es gibt welche, die fast milchschafgleich zielstrebig durch den Stall oder über die Weide marschieren, um mich zu begrüßen und dann erstmal ihre wolligen Wangen an meiner Hand schubbern. Natürlich ganz schnuckenvornehm. Es gibt welche, denen ich mich immernoch lieber nur nähern sollte, wenn ich mich etwas kleiner mache, aber dann darf ich ihnen durch die Wolle wuscheln. Manche erlauben nicht viel mehr als Nasenstubser und manche fallen bei regelrechten Streichelorgien in Ohnmacht und Traumzustand, das sind meist die bei mir geborenen und aufgewachsenen Mutterschafe. Und manche bleiben eben lieber bei ihrer altehrwürdigen Skepsis. Das ist auch in Ordnung.
Was mich an ihnen nach den unheimlich anstrengenden Milchschafgeburten besonders beeindruckte, war ihre Art, mit ihren Lämmern unzugehen. Die erste Mutter, die damals auf dem WeidenHof gelammt hatte, ging raus in den Schnee, etwas abseits der Herde, gebar ihr Lamm, stand auf und säuberte es. Soweit, so normal. Dann stand dieses Lamm nach kurzer Zeit aber ebenfalls auf, prüfte, ob alles lämmergemäß funktionierte und ging, naja, wackelte ein bisschen, zum mütterlichen Euter und trank. Alles einfach so. Mal eben. Was hatten die Milchschafe und ich schon alles erlebt! Lämmer stecken fest, Mutter rennt hilfesuchend herum, Lamm kommt raus und ist völlig platt, Lamm begreift das mit dem Euter nicht, Lamm braucht Wärmelampe undsoweiter….Ich kann nicht sagen, es ist bei den Milchschafen immer so und bei den Schnucken immer so anders. Ich hatte auch schon langjährig sehr selbständige Milchschafe und auch schon Schnucken, die über beherztes Eingreifen und Lindern von diversen „Stillproblemen“ dankbar waren. Aber es gibt durchaus Tendenzen. In Rassebeschreibungen heißt es einfach „gute Muttereigenschaften“, „beständige Aufzuchtleistung“ und „Leichtlammigkeit“, was alles so stimmt, natürlich. Es ist aber einfach anders, zu erleben, was das im Alltag heißt, besonders interessant im Gegensatz zu einer sehr gegensätzlichen Rasse wie dem Milchschaf.
Gegenätzlich ist auch die Verbundenheit der Tiere zum Land. „Genügsam“ nennt man es, wenn ein Schaf nicht viel braucht. Obwohl – ich finde das irgendwie Quatsch. Jedes Schaf hat es verdient, genau angesehen und bestmöglich betreut zu werden. Auch eine „robuste“ Schnucke wird mal krank, alt oder es passiert ihr was Blödes. Auch meine Moorschnuckenmütter haben wie die Milchschafe im meinem Kopf ein genauso ausgeprägtes Persönlichkeitsprofil – jede Einzelne. Allerdings stimmt es, meist machen die Schnucken ihr Ding und werden mit dem Futter, was das Land zu bieten hat, rund und gesund. Ein paar Extras gibt es, wenn anstrengende Zeiten anstehen wie die Lämmergeburten und frühe Laktation und ich versuche, die Fütterung immer optimal bedarfsgerecht anzupassen. Aber zu den Milchschafen macht es einen riesigen Unterschied. Da wir auf dem WeidenHof möglichst geschlossene Hofkreisläufe entwickeln wollten und auch noch andere Tiere außer den Schafen satt werden sollten, habe ich mich für die Moorschnucke entschieden, als ich die „WeidenHof-Rasse“ aussuchte. Für unser Hofkonzept hat es sich mehr als gelohnt.
Fairerweise muss ich aber auch dazu sagen, dass ich mit dieser Art meiner kleinen Schäferei ohne den WeidenHof nicht existieren könnte. Nur weil wir als Schaftruppe Teil vom WeidenHof und seiner solidarischen Landwirtschaft sind, kann ich es mir „leisten“, Dinge wie „Fleischleistung“ hinten an zu stellen. Nicht auszuschließen, aber doch nicht so vordergründig zu gewichten, wie ich es müsste, wenn ich ausschließlich vom Verkauf von Schlachtlämmern leben wollte. Mit dieser Rasse, ihren geringen Schlachtkörpergewichten und unserer kleinen Anzahl Schafe würde ich – auch mit Landschaftspflege ginge es nicht – gnadenlos untergehen, eher gestern als heute. Gut – es war auch nie gedacht, dass ich ausschließlich Schäferei mache, denn wir haben ja den WeidenHof im Gesamten aufgebaut, der eben auch Schafe haben würde, für die ich zuständig wäre. Aber gerade diesen Gedanken finde ich äußerst wichtig. Auch wenn man mit dem Beruf des Schäfers noch nie viel Geld scheffeln konnte, ist es dennoch meiner Meinung nach nicht gerechtfertigt, dass die alten und schönen Landschafrassen teilweise auszusterben drohen und man dabei manchmal auch nur mit Mühe und Ach und Krach überleben kann, wenn man ganz besonders viele und ganz besonders fette Schafe hat. Dabei geht eine Menge Vielfalt verloren, eine Menge an Kreislaufgedanken, eine Menge an Regionalität und es bleibt kaum Würdigung für das, was neben dem materiellen Aspekt mit Schafen, die an das Land und die Bedingungen angepast sind, noch geleistet wird. Was bin ich froh, dass noch Wanderschäfer Landschaften und somit ganze Biotope pflegen und erhalten, dass traditionelle Arbeitsweisen wie das Hüten der Schafe nicht verloren gehen und das es Menschen gibt, die zwar knochenbrecherische Arbeit machen, aber außer dem Rückenschaden auch noch beweisen, dass es kaum schönere Momente gibt, als die, wenn einem bei der Arbeit das Herz aufgeht. Wie sonst ist es zu erklären, dass es Menschen gibt, die für ein Gehalt, für das andere das Gesetz herbeizitieren würden, bei jedem Wetter und jedem Gesundheitszustand sich abmühen und plagen und dennoch irgendwie einfach wissen, dass das genau der richtige Job ist. Schon manchesmal konnte ich beobachten, wie ein Schäfer zwar im Gespräch war, aber ihm deutlich anzusehen war, dass er in Gedanken und mit den Sinnen bei den Schafen ist. „Man guckt halt immer.“ Ein einfacher Satz, der im Prinzip auch so einfach gemeint ist, aber hinter dem gleichzeitig eine ganze Lebensart steckt.
Ich nehme gerne Menschen mit zu Schafen. Dabei habe ich es noch nie erlebt, dass jemand nicht irgendwie, irgendwann berührt wird von den Tieren oder der schönen alten Rasse oder der Verbundenheit des Schäfers zu seiner Herde. Was bin ich froh, dass es Schäfer gibt. Und was bin ich froh, dass es Moorschnucken gibt.