Die Lammzeit 2021 ist mehr an einzelne Schafpersönlichkeiten gebunden, denn je. Komisch, denn es sind gleichzeitig mehr Schafe denn je und man könnte meinen, mit wachsender Herde verliert man einzelne Schafe schneller aus dem Blick und hat nicht mehr solch eine starke Bindung zu Einzeltieren. Das stimmt aber nicht.
Unser Hof verändert sich, wir haben ihn in den letzten drei Jahren stark weiterentwickelt und angepasst an Machbarkeiten und Notwendigkeiten. Die internen Strukturen sind dadurch teilweise ganz andere, als noch vor Jahren, womit sich auch Arbeitsbereiche und Zuständigkeiten stärker aufteilen und spezialisieren. Damit haben sich auch die Strukturen in der Tierwelt des Hofes verändert. Heute arbeitet der Hof viel besser angepasst an die Hofbedingugen mit einer Coffee-Hühnerherde, einer Rasse der „Ökologischen Tierzucht“ und es ist mehr Raum geworden für eine ganz besondere, ebenso den Bedürfnissen des Hofes angepasste Schafherde. So würde man es aus landwirtschaftlicher Sicht sagen.
Schafe können hier wunderbar gedeihen. Die Wiesen des Hofes sind artenreich und arrondiert, was zum Vorteil hat, dass ich die Schafe jederzeit zu Fuß mit meinen Hunden von irgendeinem A nach irgendeinem B führen kann. Lecker Futter und alles zu Fuß erreichbar. Wunderbar. Gleichzeitig ist die Lammfleischproduktion für die Mitglieder unserer Solawi immer ausgefeilter, es gibt mehr und verschiedenere Produkte und die Ergebnisse der Weidezeit sind immer zufriedenstellend auf der Waage ablesbar. Die Schaffelle und Wolle der Schafe fließen langsam in eine anständige Vermarktung ein, die ich seit einiger Zeit hier nebenbei verfolge und weiterbaue. In den letzten trockenen Sommern hatten wir gemerkt, dass unsere Schafe viel besser mit der Futterknappheit umgehen können als die Rinder das konnten. Von daher haben wir uns auf die Schafe konzentriert, sozusagen als klimagerechte Variante der Fleischproduktion. Schafe sind sehr freundliche Weidetiere, die die Grasnarbe schonen und stärken. Und wer weiß denn schon, dass eine durch Beweidung starke, intakte Grasnarbe im Winter immer noch CO² speichert, wenn schon alle Bäume das nicht mehr können, weil sie ihre Blätter abgeworfen haben? Grasland, Weideland, welches mit Schafherden vorsichtig beweidet wird, hält gerade die sensiblen Boden wie unsere leichten Sandböden intakt. Und die Schafe, die traditionell zu solchen Standorten passen, verstärken dieses ökologische Gleichgewicht mit jedem ihrer goldenen Tritte und eisernen Bisse. Zudem können die leichteren und kleineren Schafe mit geringem Aufwuchs in trockenen Sommern viel besser mit dem Angebot eines spärlich wachsenden Grünlandes zurechtkommen, als Rinder das können. Die brauchen in besonders trockenen Jahren schon Monate vor den Schafen unbedingt Zufütterung durch Heu und/oder Silage, welche eigentlich für die Winterfütterung vorgesehen sind. Schafhaltung und Lammfleischverzehr sind in Anbetracht des Klimawandels nicht gerade uninteressant, wenn wir nachhaltige Nahrungsmittel produzieren wollen. So würde man es aus schäferischer Sicht sagen.
Und somit habe ich im letzten Herbst viele schöne Mutterschafe zum Bock gegeben. Ein paar ältere Damen aus meiner Herde, die sich immer als gute Mütter bewährt haben, junge Schafmütter, die nun ein oder zweimal ihr Können unter Beweis gestellt haben und ganz viele Jährlinge, die nun zum ersten Mal lammen sollten und die Herde vergrößern. Dazu muss man sagen, dass Jährlinge immer ein riskantes Unternehmen sind. Man sucht schöne junge Damen aus, mit gutem Körperbau, einer noch besseren Körperkondition, vielleicht auch welche, bei deren Mutterlinie man weiß, dass sie einfach toll ist. Und dann kommt das Aufregende. Man weiß nie, wie das junge Schaf sich wirklich anstellen wird, wenn es soweit ist.
Wird sie klare Geburtsanzeichen geben oder legt sie schnell los und erfordert besondere Aufmerksamkeit? Wie wird sie sich in das Geburtsgeschehen eingeben? Wird sie souverän und ruhig Geburtsarbeit leisten und trotz ihrer anfänglichen Aufregung über das unnbekannte Geschehen, sich mit ihrem Instinkt verbinden? Wieviele Lämmer trägt sie und wie sind die entwickelt? Sind Mutterschaf und Lamm in der Lage, die Geburt alleine zu bewerkstelligen oder wird es Hilfe benötigen? Und dann schließlich: wird sie das Lamm oder die Lämmer annehmen? Ist sie mütterlich? Hat sie genügend Milch? Wird sie bereitwillig die Lämmer säugen und sich um sie kümmern?
Bei einem älteren Mutterschaf sind mir viele dieser Faktoren bereits bekannt. Ich kenne die Persönlichkeit des Schafs und habe ein Muster im Kopf, nach dem ihre Lämmer in Größe, Form und Vitalität oft beschaffen sind. Ich weiß, ob die Milch immer üppig fließt oder nur spärlich tröpfelt. Ich weiß, ob sie begeisterte Mutter ist oder lieber dann doch nicht mehr mit dem Bock spielen möchte. Und ich weiß ihre Vorgeschichte, überstandene Erkrankungen und sonstigen Wehwehchen. Natürlich entbindet mich das nicht von der Pflicht, trotzdem mit derselben Aufmerksamkeit für ältere Mütter da zu sein, wie für unbekannte Neulinge, denn immer kann irgendetwas Unvorhergesehenes geschehen und dann kann es auch um Leben oder Tod gehen. Aber sofern alles gut läuft, sind Geburten von erfahrenen Muttertieren für mich oft sehr entspannt. Wie bei alten Kolleginnen, nicken sie mir oft nur kurz zu, wenn ich nachts in den Stall komme, winken gleichzeitig ab, als wollen sie sagen: „Warte nur kurz, bin noch nicht fertig – dauert noch n Moment. Kannst ja schon mal alles vorbereiten, Stroh aufschütteln und Jod für den Nabel holen. Und dir noch n Kaffee machen. Ich meld mich dann.“ Fein. So mache ich das dann auch meist. Ich lasse die Mutter gewähren, richte die Box ein, in der Mutter und Lamm dann erstmal für ein paar Tage zur Ruhe kommen können, Lege mir alles für die Nabeldesinfektion der Lämmer zurecht und mach mir n Kaffee. Wenn der ausgetrunken ist, guckt dann meist die Fruchtblase oder ein Fuß oder halt Lamm.
An der Art, wie die Mutter ihre Geburtskuhle scharrt, hechelt, sich hinlegt und presst, wieder aufsteht, scharrt und sich nochmals darniederlegt, merke ich, ob alles seinen Gang nimmt, oder ob es an irgendeinem Punkt des Geburtsgeschehens nötig sein wird, einzugreifen. Wenn es sich dabei aber um einen Jährling handelt – also ein junges Schaf, welches zum ersten Mal Mutter wird – sind die meisten der kommenden Faktoren mir unbekannt. Ich kenne zwar das Schaf in seiner Vorgeschichte, die Mutterlinie und kann ihr Verhalten im Kontext zu ihrem sonstigen Charakter einordnen, aber alles andere ist in dem Moment, wenn die Geburt losgeht, neu und unbekannt. Eigentlich sind das die spannendsten Geburten. Die aufregendsten und manchmal auch die schönsten. Bei diesen Erstgebärenden bleibt mir nichts anderes übrig, als ruhig abzuwarten und mich auf meine rudimentären menschlichen Instinkte zu verlassen. Ich tauche sozusagen nochmal viel stärker in dieses Mysterium Geburt ein und lasse mich über die Speigelneurone in die Empfindungswellen des Schafs tragen. Und dann muss mein Körper die Führung übernehmen – sodass ich möglichst einfach weiß, wann da ein Problem mit einem dickschädeligen oder falsch liegenden Lamm sein könnte, oder die Mutter einfach noch nicht geübt ist oder es körperlich schwer hat, zum ersten Mal ein Lamm zu gebären. Und dann kommt Stufe 2: wie gelange ich möglichst ruhig an ein panisches Jährlingsschaf in der Austreibungsphase? Manchmal schleiche ich mich regelrecht an, möglichst immer nur in den Wehen, damit die Mutter nicht weglaufen kann. Manchmal gilt es, beherzt zuzupacken, damit man schnell helfen kann, weil die völlig irritierte Mutter sich einfach nicht mehr hinlegt, um dem Lamm weiter auf die Welt zu helfen. Und dann kommt der Teil, der manchmal unangenhem ist. Für die Mutter meist sowieso und für mich – je nach Schwere der Geburtskomplikation – manchmal auch. Dieses Jahr war irgendwie ziemlich viel dabei. Von Geburtswegen, die einfach noch nicht so dehnbar sind in der Erstgeburt, über dicke Lämmer, Lämmer mit eingeklappten Füßen, Lämmer mit den Köpfen voran, Lämmer in extremer Fehllage und Zwillingen, die gleichzeitig rauskommen wollten, was definitiv zu viel ist für einen einzigen Ausgang, bzw, Eingang zur Welt! Halt stopp, eines nach dem anderen. Du wartest – dich hol ich gleich. In solch einem Fall ist es oft am besten, das Schaf wieder aufzustellen, damit die Früchte in einer Wehenpause leichter nach hinten geschoben werden können – zurück Richtung Uterus. Durch die stehende Position der Mutter sackt das eine Lamm ein wenig runter, während man tunlichst nicht das andere Lamm loslassen sollte, denn wenn die nächste Wehe kommt, wird einfach wieder alles nach vorne gepresst. Hat man aber nun das eine Lamm an den Beinen – und dabei steckt man selbst oft bis zum Ellenbogen im Schaf – kann man mit der Wehe arbeiten und das eine Lamm mehr nach vorne ziehen, wodurch es für den ungeduldigen Zwilling den Ausgang verstopft. Dann hat man die Reihenfolge hergestellt. Alsbald hiernach kann das Mutterschaf wieder auf die Seite gelegt werden und die Geburt kann mit einer „normalen“ Geburtshilfe weiter gehen. Man hilft ein bisschen, damit die Vorderfüße des Lamms nun austreten können, erst zusammen die winzigen Klauen, dann die Vorderläufe, einer nach dem anderen. Wenig später folgt der Kopf, den man manchmal noch ein wenig wegen der dicken Augenpartie durch den Ausgang schieben muss. Aber sobald Vorderläufe und Kopf ausgetreten sind, kann man das Lamm nun endgültig langsam „runterziehen“. So sagt die Schafhebamme. Denn Lämmer werden aufgrund der schäfischen Anatomie erst ein wenig „geradeaus“ gezogen und dann ab einem bestimmten Punkt, als ziehe sie man beim stehenden Schaf nach unten. Das ist meist eine fließenden Bewegung. Und nach diesem schönen „Schwung“ liegt das Lamm nun da. Und Mutti auch. Sekundenbruchteile bilden gefühlte Äonen.
Swantje ist eine Jährlingsmutter, also zum ersten Mal tragend. Das kleine weiß-gescheckte Mädchen versuchte, sich gleichzeitig mit ihrem Bruder herauszudrängeln. Wir haben wie beschrieben Swantje, aufgestellt, ich habe Lämmer sortiert und dann konnte erst der kleine Bruder geboren werden, wobei das ganz schön lange dauerte. Vom Lamm im Geburtskanal war es ein harter Weg, die Füße und Nase langsam hervorzuziehen. Ich habe mich 4 Minuten lang mit dem Lamm durch das Schaf gearbeitet. Der Einfachheit halber teile ich hier diesen schönen Moment mit Euch, wenn der Kopf dann endlich austritt und man das Lamm herunterziehen kann. Ich erinnere noch meine Anstrengung, das Lamm durch die engen, ungeübten Geburtswege zu begeiten. Auch der kleine Bock musste kräftig geschwenkt werden und dann hat Mama sich um ihn gekümmert. Die ungeduldige Schwester flutschte dagegen ziemlich einfach durch das Schaf und dann: Willkommen, kleine neue Familie! Seht selbst:
Je nachdem, wie schwer die Geburt verlaufen ist, muss entweder das Lamm geschwenkt werden, dazu nimmt man es an den Hinterläufen hoch und lässt es kräftig schaukeln. Dadurch wird der Kreislauf enom in Gang gebracht, wenn das nach einer anstrengenden Geburt unbedingt schnell nötig werden sollte. Nachdem die Nabelschnur durchtrennt wird durch den Austritt des Lamms hat man nicht so viel Zeit, bis das Lamm selbständig atmen muss. Zum Glück gibt es da diverse „Tricks“, das Lamm zum Atmen zu animieren. Eines der besten Wege ist natürlich, die Mutter bringt es durch das massage-ähnliche Trockenlecken des Lammes selbst zustande. Durch das Trocknen und Anregen des Lamms zusammen mit den unablässigen Mutterrufen, die das Schaf dabei abgibt, gepaart mit der langsam und stetig stärker werdenden Antwort des Lamms entsteht die erste Bindung zwischen Mutter und Lamm. Dieser Moment ist bei Jährlingen manchmal zart und verletzlich. Und deswegen habe ich am liebsten viel Zeit in diesem Momenten und muss nicht ein erschöpftes Lamm ins Leben arbeiten.
Wenn alles gut gelaufen ist, mache ich es am liebsten so, dass ich dann das atmende und den Kopf selbständig haltende Lamm ins Stroh lege und mich respektvoll ein wenig entferne, damit ich der Mutter Raum geben kann. Dieser erste Moment als Schafmutter, besonders wenn es das allererste Mal im Leben ist, ist immer so berührend und kostbar, denn er kommt nie wieder für dieses Schaf und mich. Jedes Schaf lebt diesem Moment auf ihre ganz eigene, persönliche Weise. Manche sind noch völlig erschöpft aber aufgeregt und neugierig und gehen mit weit aufgerissenen Agen auf ihre Lämmer zu und beginnen behutsam, sie zu umsorgen. Manche sind verhalten, müssen erstmal kurz durchatmen ob der körperlichen Ausdehnung unbekannten Ausmaßes, schauen das Lamm verwundert an und gehen bedächtig, mit klopfendem Herzen in ihren neuen Lebensabnitt. Dabei riechen und beschlabbern sie ihre Lämmer erst ganz sanft und zärtlich und schauen zwischendurch nochmal erstaunt, was da denn jetzt zu ihnen gehören zu scheint. Und manche stürzen sich gleich ohne Schickschnack auf den Nachwuchs, waschen und putzen energisch und teilen der Brut unmissverständlich mit, wer hier die Mutter ist.
Bei diesen Müttern habe ich auch immer eine gewisse Vorsicht, wenn ich dann später in der Box die Lämmer wiege, den Nabel versorge und alles dokumentiere. Man weiß nie, ob sie dann ausrasten wird, weil ihr Lamm zu ihr gehört und nicht auf die Waage. Da riskiert man mitunter auch mal einen blauen Fleck…. Ich kann auch nicht sagen, welche Art von Muttersein ich am besten finde. Sie alle haben was schönes und es ist nicht gesagt, dass nicht auch eine sanfte, erstaunte und überwältigte Mutter eine intensive Bindung aufbauen kann. Meist hat man als Schäfer die starken Mütter am liebsten, weil da die Gefahr nicht so groß ist, dass sie in Folge noch ihr eines oder eins der beiden Lämmer nicht annehmen wird. Denn das heißt dann: Flaschenlamm. Ich finde aber, eine zum-ersten-Mal-Mutter hat ein wenig Nachsicht und Geduld verdient. Das ist ja auch ein einschneidendes Erlebnis, egal in welchem weiblichen Leben von egal welcher Spezies. In diesem Jahr hatten wir auch ein bisschen Glück. So viele Jährlinge und ausnahmslos alle haben ihre Lämmer angenommen, egal wieviele sie hatten. Das ist schon schön.
Leider gab es dafür ein paar traurige Momente. Aber so ist das. Keine Lammzeit ohne Sorgen, immer etwas anderes und jedes Jahr ganz eigene Geschichten. Das weiß man schon vor der Lammzeit, also wappnet man sich innerlich für was auch immer da kommen möge. Drei Jährlinge haben ihre Lämmer verloren, weil sie in der Trächtigkeit offensichtlich eine Schmallenberg-Infektion durchgemacht hatten, die meist bei der Mutter unbemerkt bleibt, aber leider die infizierten Lämmer verkrüppelt, so dass sie nicht lebensfähig geboren werden. Ja und dann gab es noch den Abschied von Mathilda. Meine gute alte Mathilda. Ich hatte mich so auf ihre Lämmer gefreut, weil ich wusste, es würden die letzten Lämmer für sie sein, danach wartete das Gnadenbrot – wie gesagt, sie war etwas älter. Im letzten Jahr hatte sie sich in der Trächtigkeit mit Leptospirose infiziert, wordurch sie damals schon verlammt hatte. Offensichtlich muss trotz Behandlung gegen die Infektion organisch etwas schief gelaufen sein, denn ihre Lämmer waren wenige Wochen vor der Geburt abgestorben. Sie hatten es sehr weit geschafft, es reichte nur nicht für die letzte Wegstrecke. Und dann kamen irgendwie noch andere, mögliche aber unschöne Komplikationen schaftypischer Art vor – mach ichs kurz: am Ende mussten wir Mathilda erlösen, nachdem ich noch ein paar Tage nach der Geburt der toten Lämmer versucht hatte, ihr auf die Beine zu helfen. Was für ein Abschied. Meine gute alte Mathilda, die im letzten Jahr meine „Sekretärin“ wurde und mich auf dem laufenden hielt, was im Stall los ist. Sie zeigte mir bald gebärende Schafe mit 100%iger Trefferquote, sie kontrollierte meine Aufzeichnungen und checkte immer mal die Vorräte an Leckerlis. Deswegen war es auch so klar, dass Sekretärinnen hier in Rente gehen dürfen und genüsslich ihr Lebensabend-brot genießen dürfen. Aber Mathilda war auf anderen Wegen. Wir hielten noch lange Zwiesprache zusammengekuschelt in ihrer Box. Sie lag mit ihrem Kopf auf meinem Bauch, ich streichelte sie noch endlose Minuten, ihren Geruch in mich aufsaugend, damit ich ihn nie vergesse und dann entließ ich sie zu ihren Lämmern, wo sie sich so sehnlichst hinwünschte.
schönste Variationen von Muster und Scheckung… in allen erdenklichen Farben…. wie Lämmer sich verändern…. hier noch klein mit Mama beim Kuscheln ein paar Wochen später mit der gotlandtypischen Aufhellung im Gesicht viele Variationen von Farbe… einfach hübsch Merida übernimmt den Kindergarten Jährlingsmutter Lillemor. ein ziemlich stabiles Band von Mutter und Lamm. Die Lieblingskuschelecke der Lämmer in den bitterkalten Winternächten und tagsüber ein wenig Sonne im Auslauf
Abschied und Neubeginn, eines bleibt hinter uns und etwas Neues kommt auf uns zu – Zeit verliert sich im gestern, heute und morgen, denn es ist alles ineinander verstrickt und verwoben. Es gibt alte und uralte Tiere in meiner Herde, ganz junge und alle anderen Stufen dazwischen. Aber die Zeit, oder das Alter der Schafe sagen nichts darüber, was dieses einzelne Wesen für mich oder die Herde bedeutet. Im Stall denke ich nicht: dies ist ein altes Schaf, jenes ein junges… sondern es entsteht ein neuer Blick. Einer, der durch den Stall schweift und die Verbindungen sucht, einer der den Glanz der Vitalität und die Stabilität für das Herdengeflecht fokussiert. Im Stall denke ich in Mutterlinien und prüfe die Bindung und Vertrauen. Ganz hier, ganz jetzt, aber ohne das „jetzt“ von gestern oder morgen abzugrenzen. Mathilda hat das ihrige zur Herde beigetragen und nun ist sie dennoch nicht mehr dabei. Es gibt zwar keine Lämmer von Mathilda mehr, aber in ihrer Mutterlinie entsteht schon ein starker Familienclan. Der Charackter, das sanfte Wesen und die niedliche neugierige Sucht nach Leckereien zeigt sich in allen Augen dieser Familie. Und somit wird dieses „Schaf-Wesen“ immateriell immer in der Herde und bei mir sein. In all seinen mannigfaltigen Variationen von Art und Verhalten und in dieser einfach herzlich zuckersüßen pummeligen Zärtlichkeit. Abschied und Neubeginn – nirgends so sehr aneinander gebunden wie in einer Herde Schafe. Und so schauen andere Augen in derselben Weise etwas schüchtern um die Ecke, große, runde fragende Augen und ein sanftes Zögern in einem ebenso sanften Schaf – bei dem ich im Übrigen genau weiß, dass ich die Tüte mit trockenem Brot besonders gut verstecken muss…
Ich werde sehr oft gefragt, wie ich mit dem Tod in meiner Herde umgehe, ob es nicht schwer sei, Tiere zu verlieren, an die man so sehr gebunden ist, besonders wenn es bei der Größe der Herde öfters vorkommt, denn je mehr Tiere man hat, desto wahrscheinlicher passiert auch hier und da etwas Unschönes. Oder wie ich gar mit dem Schlachten umgehe. Nun, es ist Teil vom Ganzen. Ich will das nicht abtun oder kleinreden, denn bei Schafen wie Mathilda findet man mich oft weinend am Stallgatter und meist brauche ich einen Moment, um mich wieder zu „berappeln“. Aber was mich stets trägt, ist diese Verwobenheit und Gleichzeitigkeit aller Dinge. Ich lasse auch die Herde, soweit die Umstämde es zulassen, einen Moment Abschied nehmen, wenn eine stirbt. Und die Schafe selbst haben mich diese Gleichzeitigkeit der Dinge gelehrt. Schafe sind wahre Meister der Meditation, sie sind hier und jetzt und gleichzeitig in allem was war und sein wird. Während die einen sich verabschieden, gehen die anderen zur Heuraufe und fressen, nähren das Leben und in der hinteresten Ecke beginnt gerade eine damit, ihr Lamm auf die Welt zu bringen. Und die Schafe sehen immer alles gleichzeitig, ihre Augen und Ohren betrachten den gesamten Raum zur gleichen Zeit. Und das alles in unendlicher Sanftheit, in Ruhe und oftmals einem atmosphärischen Frieden, den ich selten unter Individuen einer anderen Spezies gefunden habe. Dieser Friede senkt sich auch ein wenig in ein Menschenherz, wenn es sich lange in einer Schafherde aufhält. Ich habe, als ich überlegt habe, wie ich diesen Gedanken darstellen könnte, einen älteren Artikel hier im Blog gefunden, der diese Art zu sehen, nochmal aus einer anderen Perspektive beschreibt: https://schaeferin.weidenhof.de/kommet-ihr-hirten/. In diesem innerlich ruhigen Zustand öffnet sich dann der Blick für das, was gerade alles entstanden ist: ein Gewusel von allerschönsten Musterungen und Scheckungen auf einzelnen, höchst individuellen Schafpersönlichkeiten, die alle ihrerseites sichtbare und fühlbare Verbindungen zu jeweils anderen, höchst individuellen Schafpersönlichkeiten haben.
Mit den Ergebnissen meiner experimentellen Moorschnucken-Gotland-Kreuzungen wird all dies noch viel intensiver sichtbar. Im letzten und vorletzten Jahr kamen die ersten Kreuzungslämmer der beiden Gotland-Zuchtböcke auf die Welt. In diesem Jahr kam die zweite Generation hervor, denn die Töchter aus dem Vorletzten bekamen nun ihre ersten eigenen Lämmer. Und in der zweiten Generation werden oftmals Muster erkennbar, die zuvor noch genetisch unter dem Muster „weißes Schaf“ versteckt blieben. Ich habe bis jetzt 5 verschiedene Variationen von Mustern ausmachen können: 1. reinweiß, wobei immernoch nicht klar ist, ob diese Schafe nicht auch nur der äußeren Erscheinung nach weiß sind, 2. mit auffälliger und mehr oder weniger größerer weißer Scheckung, wodurch das eigentliche Farbmuster nur an bestimmten Körperstellen sichtbar wird, 3. grau oder grauschimmel, die relativ hell geboren werden und sich im weiteren Verlauf nur minimal ändern, aber durchaus beachtliche Fellfarbenwechsel durchmachen, 4. schwarz geborene Lämmer, die anfangs mehr oder weniger stark verraten, dass sie stufenweise aufhellen werden, bis manche von ihnen ein regelrechtes stahlblau-grau erreichen und 5. schwarz geborene Lämmer, die auch weiterhin eher dunkel bleiben, aber an bestimmten Körperstellen oder in einem Hauch, der ihnen über die Wolle gezogen wird, versilbern. Es gibt Momente, da muss ich einfach im Stall stehen und staunen.
Während ich da also so stehe und staune, mir diesen tausendundeinen Gedanken mache, kommen immer wieder einzelne Lämmer und zupfen an meinen Hosenbeinen, versuchen mich zu irgendetwas zu amnimieren und scharren ungeduldig an meinen Füßen, wenn ich nicht adäquat mit Streicheleinheiten antworte. Farinja hatte sich sogar zur Angewohnheit gemacht, wie ein Hündchen an mir hochzuspringen, wenn ich nicht ausgiebig meine Aufmerksamkeit auf sie gelenkt habe. So kam es dann gelegentlich vor, dass eine zärtlichkeitsheischende Farinja regelrecht in meinen Arm oder auf meine Schultern sprang, wenn ich mich gemütlich im Stroh niedergelassen hatte. Farinja war ein unbändig geliebtes Lamm einer Jährlingsmutter. Freya, die soviel Milch hatte, dass ich Sorge hatte, der Mutter würde irgendwann das Euter entzünden, wenn es nicht regelmäßig ausgiebig geleert würde. Und so waren Farinja und Freya in den ersten Tagen nach der Geburt immer besonders aufmerksam wenn ich den Stall betrat und sprangen mit rollenden Augen auf: „oh nee, die schon wieder – jetzt geht das Gemelke wieder los…“ Beziehungsweise Freya sprang – Farinja hingegen lag mit Kugelbauch selig schlummernd verdauend in der Box und war so vollgesoffen, dass sie lediglich im Geiste sprang.
Oder ein anderes Lamm mit einer ganz eigenen Geschichte, wie Lilly, die mit ihrer Schwester zusammen ganz alleine und von einer fürsorglichen Lynni geboren wurde und fortan in einer behaglichen, zufriedenen, sehr selbständigen jungen Familie lebte. Und so entspannt ist auch das Lamm. Das schönste daran war aber, dass Lynni ein ehemaliges Flaschenlamm ist, die von ihrer Mutter leidvoll ignoriert wurde – und dennoch höchst mütterliche Eigenschaften zeigte! Ich hatte ein wenig Sorge, wie sie sich denn verhalten würde, denn schließlich hatte sie selbst diese Fürsorge nie kennengelernt. Aber angefangen damit, dass sie alleine und ohne Probleme ihre Lämmer zur Welt brachte und sich vom ersten Moment an perfekt um sie kümmerte, bis dahin dass man bei dieser Familie außer der Grundversorgung nichts weiter tun musste, wandelte sich die Sorge in fröhliche Zufriedenheit. Was für ein Zuwachs in der Herde! Schön. Lilly entschied sich dann recht schnell, dass sie ein zutrauliches Lamm sein wollte und gesellte sich gerne zu uns, wenn wir im Stall unseren Feierabend einläuteten. Ganz besonders behaglich fand sie es, zusammengerollt im Schoß meines Mannes einzuschlafen. Fortan zog sie es vor, seine Gesellschaft einzufordern, wenn er den Stall betrat. Naja, macht ja nichts, ich hab ja noch eine Farinja, die mir auf die Schulter springt….
Gleichzeitig gibt es noch die Jährlingsmütter, die durch dieses Band, was wir in den Stunden der Geburt gewoben haben, nun vertrauensvoll zu mir kommen. Durch das Muttersein gewinnt ein junges Schaf an Zuversicht, Ruhe und kraftvoller Gelassenheit. Und so entstanden viele schöne Momente mit gereiften jungen Schafen, die mir nun als Isolde, Swantje, Irmi – die nach ihrer Großmutter benannt ist, Liselotte oder Lillemor begegnen. Als Schaf mit Persönlichkeit und ihrem ganz bestimmten, eigenen, wertvollen Platz in einem Geflecht aus Gemeinschaft und Verbindungen.
Wie es der Zufall so will, ist mir aktuell ein Artikel untergekommen, in dem beschreiben wird, wie sich die Höhe der Lämmersterblichkeit in der Frühzeit der Menscheitsgeschichte mit Schafhaltung entwickelt haben mag und welche Umstände zu Verbesserung der Schafzucht beigetragen haben müssen. Auch die kulturgeschichtlich frühen Schäfer hatten sich wohl demgemäß mit der bedarfsgerechten Fütterung ihrer Schafe beschäftigt, mussten Zusammenhänge zwichen den Lebensbedingungen der Schafe und der Gesundheit der Lämmer festgestellt haben und veränderten die Haltungsbedingungen der Tiere solange, bis es den Tieren an sich besser ging, was natürlich dann auch von Erfolg in der Lämmeraufzucht gekrönt war.( https://vet-magazin.com/wissenschaft/geschichte-veterinaermedizin/Neolithische-Schafhalter.html) Nichts anderes machen wir heutigen Schäfer, nur dass die äußeren Umstände anders sind. Wir machen uns zwar Gedanken über die Vermarktung und Einkommensmöglichkeiten des Betriebes, können benötigte Nährstoffe in Form von Futtermitteln bestellen, aber der Blick auf die Herde ist scheinbar derselbe. Im Stall geht es um dieselben Fragen: sind die Schafe und Lämmer ausreichend versorgt und ernährt? Haben sie genug Platz? Welche Rückschlüsse kann ich bei bestimmten Ablammergebnissen ziehen? Warum gibt es Verlammungen und was kann ich tun, um dagegen zu steuern? Diese Gedankenwelt, dieses Einfühlen in die Herde ist ungefähr 10 000 Jahre alt. Mein Beruf verbindet mich also mit Menschen, die schon vor einem langen Zeitraum an Jahren Dinge getan haben, die den meinen recht ähnlich gewesen sein mussten, wenn auch im anderen Gewand. Dieser Zeitraum an Jahren ist so dermaßen lang, dass ich das Gefühl habe, wir können uns kaum vorstellen, wie lang so etwas wirklich ist. Menschen, Kulturen und Ideen, sowie Gewohnheiten und Gepflogenheiten, Kleidung und Komfort haben sich massiv gewandelt. Was sich aber über all diese Generationen nicht verändert hat, ist unsere Verbundenheit zu den Tieren. Wir haben uns in Gemeinschaft mit den Tieren entwickelt, wir sind ineinander verwoben, denn ohne uns wären sie keine domestizierten Tiere und ohne sie hätten wir nicht unsere verschiedenen Lebensweisen aufgebaut und unsere kulturellen Entwicklungen vorangetrieben. Und möglicherweise stand vor tausenden von Jahren schon einmal eine Hirtin inmitten ihrer Herde und eine Farinja versuchte, an ihrem Bein hochzuklettern und möglicherweise nahm auch schon vor tausenden von Jahren ein Hirte ein Lamm auf den Arm, welches dann friedlich und geborgen dort einschlummerte. Diese Geste der Zärtlichkeit, dieser vertrauenvolle stille Moment des Miteinanderseins verbindet uns im hier und jetzt mit all den Hirtenmenschen bis zurück zu den Anfängen der Menscheitskultur, wie wir sie heute kennen. „Gut behütet sein“ ist ein Ausdruck, der ein wohliges Gefühl von paradiesischem Frieden auslöst – ganz gleich, ob man dabei vor Augen hat, was zur Arbeit eines Schäfers gehört oder nicht.
Sarah 6. Mai 2021
Oh, das hört sich ja alles sehr schön an! Ich finde es so toll, dass du so eine intensive Beziehung zu deinen Tieren hast! Danke für diesen persönlichen Einblick. Das ist was ganz besonderes. Klingt aber auch alles nach sehr viel Arbeit… oder? Wie schaffst du das, machst du das alles alleine mit so vielen Schafen? Tolles nachhaltiges Projekt zur heutigen Zeit. Bewundernswert. Liebe Grüße an deine Lämmchen:)
Schaeferin 7. Mai 2021 — Autor der Seiten
hallo sarah,
vielen dank für das tolle lob!
ja, schafe machen immer arbeit, weil ganz viel noch mit handarbeit bei schafen erledigt wird. (klauen schneiden, scheren, regelmäßig weidenetzte stecken, usw…) aber es ist irgendwie auch schön, weil man mit schafen noch ganz nah am tier arbeitet, ganz viel direkten kontakt hat und dementsprechend viele gelegenheiten, mit den tieren zu kommunizieren und dann darf man nach feierabend auch ausgiebig kuscheln….
ja, das meiste mache ich alleine. aber bei großen aktionen, wo man die ganze herde einmal durchcheckt und jedes einzelne tier in der hand hat, habe ich mindestens eine mitarbeiterin auf dem hof. und manchmal kommen auch mitglieder unserer solidarischen landwirtschaft, die zum beispiel helfen, nach der schur die wolle zu sortieren oder solcherlei dinge, die mir gut zuarbeiten. das ist schön, weil ich erstens ein bisschen hilfe habe und zweitens unsere mitglieder des hofes die herde auch kennenlernen. so kann ich wieder ein wenig verbindung zwischen mensch und tier schaffen. und die schafe machen dabei ihr übriges – die sind so dermaßen niedlich, dass der kontakt ganz schnell hergestellt ist.
also alles in allem, mit únd trotz arbeitsintensität: ein traumjob!
liebe grüße
anke