Gutefar, Gotlandsheep, Utegangsfar, Gotlandfar… es klingt wie aus einer alten Legende und ist doch ganz echt im hier und jetzt. Gemeint ist ein ein einfaches Schaf, schön und würdevoll, lieblich zart und dennoch sehr stark – so wie Schafe halt sind. Far – eigentlich mit so einem Kringel oben drauf auf dem a – heißt nicht anderes als „Schaf“ auf schwedisch und die Vorsilben differenzen lediglich zwei verschieden aussehende Schafe, die allerdings sehr eng verwandt sind. Unverwechselbar tragen die „alten“ Schafe Hörner: Böcke wunderschöne Schneckenhörner, deren Jahresringe zum Teil farblich in den Mustern fließen, die diese Tiere auch auf ihrem Fell tragen und Mutterschafe tragen sichelförmige kleinere Hörner, die die Schafdamen krönen wie zwei kleine Halbmonde.
Wie lange diese Schafe schon auf Gotland und in Schweden leben, weiß niemand anscheinend so recht. Es wird lediglich gesagt, dass es die ursprünglichen Schafe Schwedens gewesen seien, die älteste Rasse auf der nördlichen Seite der Ostsee… Wenn nun jemand sagt, dass es eine ganz alte Schafrasse ist, dann hat das zwei ganz besondere Bedeutungen. Erstens ist dieses „alt“ so derartig alt, dass wir oftmals keine Vorstellung davon haben, wie alt das ist. Der aktuelle Stand der geschichtlichen Forschung besagt, dass der Mensch in der Frühgeschichte wohl als allererstes Nutztier das Schaf und die Ziege domestiziert hat. Das Schaf stellt keine hohen Ansprüche an die Unterbringungsmöglichkeiten, ist nicht zu groß, um ernsthaft gefährlich zu sein und ist kein Nahrungskonkurrent. In der Frühzeit des Zusammenschlusses von Mensch und domestizierter Tiere war dieses Tierwesen am naheliegendsten. Dieser Prozess ist nun 10 000 Jahre her und allein wenn wir uns tausend Jahre vorstellen wollten, also alles, was passiert ist vom Mittelalter bis heute, dann gerät unser Gehirn ganz schön auf Hochtouren. Für dieses Zusammenleben von Mensch und Schaf müssen wir diese Vorstellung nochmal verzehnfachen. So lange leben Mensch und Schaf schon zusammen. Dabei hat der Mensch durch die Auswahl der Tiere, die sich in der Herde weiter vermehrten, auch einen züchterischen Einfluss auf Aussehen, Verhalten, Leistungsfähigkeit und Charakter der Schafe genommen. Eindeutige Spuren von Domestikation fanden Archäologen dann ca. 8 000 Jahre vor unserer Zeit. Und irgendwann im Verlauf dieser 8 000 Jahre hat sich das schwedische Freiweideschaf in seiner Gestalt gezeigt, wie wir heute das Gutefar noch in manchen Gegenden Schwedens, auf Gotland und in skandinavischen und europäischen Nachbarländern sehen können. Freiweideschaf. Ein schönes Wort, wie ich finde. Ein freies Weideschaf, welches, wie wir heute formulieren würden, seinem artgerechten Leben nachgehen darf.
Dabei ist das Wort in der Hauptsache entstanden, weil es die Art der Schafhaltungspraxis damals – und in manchen Ländern noch heute – ausdrückt. Die Schafe verbringen den Winter auf den Höfen im Stall und bringen ihre Lämmer zur Welt. Wenn das Frühjahr kommt und das Futter wächst, werden die Schafe mit ihren Lämmern in ein riesiges Weidegebiet geschickt, wo sie den Sommer über mehr oder weniger selbständig leben. Nur zu bestimmten Zeiten, in denen bestimmte Arbeiten anstehen, treiben die Menschen die Schafe wieder zusammen mit ihren Hunden oder ihren Ponys – je nach Land. Und je nach Land und damit auch je nach Beschaffenheit des Landes und Nahrungsangebot haben sich ganz bestimmte, dazu passende Schafrassen entwickelt. In Island zum Beispiel gibt es bei den Islandschafherden immer die ganz besonderen Leittiere, was in kaum einer anderen Schafrasse so ausgeprägt ist. Es sind Tiere, die – wie man sagt – das Wetter vorausfühlen können und dann rechtzeitig die Herde in geschützere Gebiete führen oder auf fettere Weidegründe. Diese Leitschafe sollen so dermaßen aufmerksam sein, dass der Mensch ihnen fast einen menschenähnlichen Geist zuspricht. Vielleicht auch höher als der des Menschen. Oder in Schottland, wo es an der Küste eine ganz besondere Schafrasse gibt, die auch nur dort gut überleben kann. Diese Schafe haben sich in Ermangelung von dem reichhaltigen Futterangebot anderer Gegenden dazu entwickelt, dass sie auch Algen fressen, so wie man sonst Schafe Gras fressen kennt. Friedlich weidende Schafe kann man dort an der Küste neben Seehunden beobachten. Hier in der Heide und im Moor leitet sich der Name der Schnucken davon ab, dass diese Schafe wie kleine Naschkatzen hier und da knuspern. Auf dem leichten Sandboden oder im sumpfigen Morast haben die Pflanzen aufgrund der Bodenbedingungen auch nicht so einen reichhaltigen Nährstoffgehalt, da muss man sich schon das Beste raussuchen, um zuzulegen. Und so ist es eine Eigenart der Schnucken geworden, naschhaft von Pflanze zu Pflanze zu wandern. Damit hat das wiederum Auswirkungen darauf, wie die Herde einem im Bild erscheint. Während Merinolandschafe aus dem Süden wie ein Fresstrupp als Herdenmähmaschine die Vegetation verspeisen können, müssen „Schnucken wie Sterne am Himmel stehen“ – wie ich es einmal von einem hochgeschätzten erfahrenen Schäferleher lernen durfte.
Die Schafrasse hat also nicht nur Auswirkungen auf das Aussehen der Schafe, den Nährstoffbedarf, sondern auch auf das Verhalten, die Art der Bindung zum Menschen und die Art, wie sie heute noch gehütet werden. All dies ist gemeint, wenn es heißt, dass Schafe in ihren unterschiedlichen regional geprägten Schafrassen die wohl vielfältigsten Formen unter den Nutztieren entwickelt haben und die Diversität dieser Nutztierrassen wohl eines der erhaltenswertesten Kulturgüter der menschlichen Geschichte im Verbund mit der Natur sind.
Also zurück zu unseren Freiweideschafen. In den nordischen Ländern mit ausdauerndem Regen und kalten Wintern, haben diese Schafe eine besonders wärmende Wolle entwickelt, die aber unten im Fell, als Puffer zum Körper liegt. Wie eine Wollunterwäsche sozusagen. Gegen Niederschlag und Wetterunbill liegt darüber wie ein Mantel das Deckhaar, welches etwas gröber ist, Wasser abperlen lässt und somit die warme Unterwäsche trocken hält. Zusätzlich hat die Unterwolle eine Fettschicht um die einzelnen Haare, das Lanolin. Selbst wenn der Mantel also völlig durchnässt ist, hält das Lanolin die Unterwäsche erstmal noch trocken. Schlau. Die ursprünglichen, behornten Utegangsfar haben dabei noch einen natürlich anmutenden Fellwechsel im Frühjahr gehabt, wobei auch das relativ ist. Durch das „Schieben“ der Wolle hängt die alte Unterwolle noch im Fell und sie wurde mühsam per Hand ausgezupft oder von den Büschen gesammelt, an denen die Schafe sie abgestreift hatten. Gleichsam wurden die Schafe im Sommer „zum Bartholomäustag“ zusammengetrieben und es wurden alle Schafe – Lämmer und ältere Tiere geschoren. Denn die Lammwolle hatte noch kaum solche markhaltigen Deckhaare und war von daher besonders weich. Also unglaublich wertvoll. Die Sommerwolle der älteren Tiere ist ebenfalls etwas weicher als die Winterwolle und konnte sehr gut zu gröberen Textilien verarbeitet werden. Und vor allem waren alle Textilien, die aus der Wolle der Schafe hergestellt wurden, genau passend zu den Bedürfnissen der Menschen. Denn die Menschen lebten ja in demselben Klima wie die Schafe und deren Wolle wuchs schließlich, um den Schafen ein Leben draußen in freier Natur zu ermöglichen! Nichts also wärmt so sehr, wie eine Decke aus der Wolle von Schafen, die in einem harschen, oftmals kaltem und unwirtlichem Gebiet leben.
Man kann sich sicherlich einfach vorstellen, dass das Sammeln der Wolle nicht immer eine einfache Arbeit war und der Mensch das Scheren insofern als angenehm empfand, als dass man eben alle Wolle, die man brauchte, um Kleidung, Teppiche, Decken, Segeltuch und andere Haushaltstextilien herzustellen, mit einem Mal vom Schaf holen konnte – auf dem dieser natürliche Rohstoff dann in einer atemberabenden Geschwindigkeit nachwuchs. Gleichzeitig stiegen die Ansprüche der Menschen an die Qualität der Fasern, mit denen sie ihre Kleidung herstellten. Durch kulturelle Entwicklung und weltweiten Handel kannten die Menschen auch Leinen, Seide und später auch Baumwolle – heute stellen wir sogar Kleidung aus Plastik her.
Um dem gestiegenen Anspruch an Weichheit gerecht zu werden, entstand durch Zuchtarbeit aus dem ursprünglichen „Hornfar“ oder „Hornlambi“ – wie mein Lieblingswort in diesem Zusammenhang ist – das heute als „Gotländisches Pelzschaf“ bekannte Gotlandschaf. Oder schlicht die „Gotis“ wie sie ihre Schäfer in unserem Sprachraum oft liebevoll nennen. Auf dem Wege der Zucht und Selektion gewannen diese Schafe an weicherer Wolle und verloren dafür ihre Hörner. Genetik ist ein Wunderwerk der Natur und kann nur mit dem größtmöglichen Respekt behandelt werden. Die Tierwesen, mit denen wir arbeiten, lassen sich nicht stumpf wie Knetmasse formen. Natur antwortet auf alles, was wir tun. Und diesen Respekt vor der Eigenmächtigkeit der Natur sollte man sich immer bewahren. Und genauso ist es zu bewahren, wenn durch diese lange Kulturgeschichte die Natur mit uns in Kooperation geht und wunderschöne Schafe entstehen lässt auf die Anfragen hin, die wir stellen. Unser Gotlandfar mit wunderschöner weich gelockter Pelzwolle und ohne Hörner wurde also fortan von seinen ursprünglicheren Verandten unterschieden, die ihrerseits dazu den Namen Gutefar erhielten. So wissen wir also schon gleich beim Namen, ob es sich um Freiweideschafe mit Hörnern handelt oder ein „Ohne-Hornlambi“.
Eingebettet sind diese wunderschönen Schafnachbarn in die große Familie der „nordischen Kurzschwanzschafe“, zu denen unsere Schnucken aus der Heide und dem Moor gehören oder die klugen isländischen Schafe mit Anführerqualitäten und Wetterfühligkeit. Ebenso die Shetlandschafe, die norwegischen Spaelsau, Finnschafe, die kleinen witzigen selbständigen Skudden und einige mehr. Ein wesentliches Merkmal dieser engen Verwandschaft der unterschiedlichsten Clans liegt – wie der Name sagt – in ihrem kurzen, nur mit Deckhaaren bedeckten Schwanz, der dadurch im Gegensatz zu langschwänzigen Schafrassen keine Unterwolle trägt. Meist sind die nordischen Schafe etwas zierlicher, oftmals haben sich diese noch ursprünglicheren Rassen ausgefallene und besonders schöne Muster und Fellfarben erhalten.
Kreuzt man nun zwei dieser nordischen Clans miteinander, kommen oftmals die alten, darunterliegenden genetischen Muster hervor, die zwar innerhalb des Rahmens der Erscheinungen dieser Rasse bleiben, aber oftmals eine genetische Variablität in Farbe und Struktur erahnen lassen, die in der wilden Form dieser Freiweideschafe für schillerndste Möglichkeiten sorgten. Und damit auch die Schönheit dieser Schafe begründeten.
In meinem Fall habe ich begonnen, hier eine Herde aufzubauen, die in ihrer Ursprünglichkeit auf dem Land, welches ich bewirtschafte, gewachsen und gediehen ist. Die traditonellen Moorschnucken bilden die Grundlage meiner Schafe. Auch die Moorschnucken haben ihre eigene Geschichte der Clan-Verzweigung zu den Heidschnucken, deren nächsten Verwandten sie sind. Moor- und Heidschnucke sind sich ziemlich ähnlich, bis darauf, dass die Moorschnucke gewissermaßen auch ein „ohne-Hornlambi“ ist, nämlich die „hornlose weiße Heidschnucke“, die speziell in den morastigen, sumpfigen Gegenden Norddeutschlands gehalten wurde. Im alten Moor, in dem unser Hof beheimatet ist, schien mir das das passendste Schaf, auf welchem ich alles Weitere aufbauen könnte. Der einzige wirkliche Nachteil für die heutige Welt, den dieses Schaf hat, ist der, dass die Wolle der Schnucken relativ grob ist. Die „ohne-horn-moorlambi“ ist dabei noch etwas weicher als ihre Schwester, die gehörnte, graue Schnucke. Dennoch reicht dies nicht für die Ansprüche der heutigen Menschen an Weichheit der Kleidung und somit lässt sich ihre Wolle hauptsächlich zu robusten, besonders langlebigen Teppichen verarbeiten. Da mir Wolle aber am Herzen liegt und ich diesen wunderbaren natürlichen Rohstoff, den uns alle Schafe quasi „hinterherschmeißen“, nicht immer nach der Schur verwerfen wollte, musste ein Schaf her, welches die Wollqualität meiner naschhaften Schafe für den heutigen Geschmack verbesserte. Nichts anderes als das, was Schäfer seit Jahrtausenden machen: Schafe züchten und dabei das Schafwesen fragen, ob es nicht seine Gestalt anpassen könnte an die Erfordernisse der Zeit, in der der Mensch lebt, um diesem in seiner Bedürftigkeit mit dem lieblichen und würdevollen Schafwesen zu unterstützen, ihm mit seiner Stärke der Anpassung und des Überlebenswillens beiseite zu stehen.
Meine Freiweideschafe sind sommers nun mehr oder weniger frei, die haben ausreichend Weidegang am Tag. Sobald die Lämmer groß genug sind, verbringen sie die gesamte Zeit auf den Weiden, lediglich zum Schutz der Lämmer sind sie in der Frühjahrszeit noch in den kalten Nächten im Stall. Da Schafe nichts so sehr brauchen wie einen trockenen Platz zum Liegen und Verdauen, habe ich es im alten Moor nicht gerade leicht, ihnen das auch immer zu ermöglichen. Aber ansonsten sind sie recht robust und halten einiges an möglichen und un-möglichen Wetterlagen aus. Die Nachkommen aus der Liason mit den pelzigen Utegangsfar haben nun eine „ohne-horn-lambi“ der besonderen Art hervorgebracht.
In den ersten Generationen waren die Lämmer oftmals wie helle, sehr schuckenartige Lämmer, aber oftmals schon mit verräterischen Pünktchen im Gesicht, das ein oder andere trug unter einer Scheckung verhalten ein Muster, es gab an Beinen und Kopf wunderschöne Farbverläufe, die erahnen ließen, was Muster mit Wolle und Fell noch hervorzaubern konnten. Richtig dunkle Lämmer gab es kaum, hier und da etwas mehr Grundfarbe, aber der schimmeltypische Farbwechsel im Jahreszeitenlauf beschränkte sich allein auf die Gesichter. Durch das Tan – einen rötlichen Schimmer, der von einem genetisch verankerten Farbstoff zustande kommt, den nicht jedes Schaf hat – waren für mich die Muster anfangs sehr schwer zu unterscheiden bzw. erstmal zu erkennen. Doch so ganz langsam, nämlich in der zweiten Generation Lämmer von diesen jeweils ersten Generationen, werden genetische Farb- und Musterstrukturen ein wenig nachvollziehbarer und ein wenig strukturierbar.
Was noch lange nicht heißt, dass ich die Genetik meiner Herde offengelegt habe. Nein, es bleibt ein spannendes Spiel und Rätsel, welche genetischen Grundlagen diese wunderschönen Ohnehornlambi im Rieper Moor wohl tragen. Es gibt schnuckelige Freiweideschafe und frei weidende Schnucken. Je nachdem, welcher Clan mehr durchkommt. Aber letztlich kommt es nicht darauf an, die Dinge in ihrer Struktur zu ersticken. Viel schöner ist es, den grasenden Schafen beim Weiden zuzusehen und dieses Kaleidoskop von Grauschattierungen zwischen Weiß und Schwarz unter dem blau-grau bewegten Himmel vorbeiziehen zu sehen. Und sich daran zu erfreuen, mit welcher Schönheit die Natur auf eine Anfrage eines kleines Menschleins geantwortet hat, der sich einfach nur ein bisschen grauschattierte und zärtlich weiche Wolle wünschte…
Jürgen Körber 20. Mai 2021
Moin Anke,
Du hast einen sehr schönen Artikel verfasst. Danke!
Ich habe wieder Einiges dazugelernt.
Ich wünsche dir weiterhin viel Freude und Erfolg mit deinen „Mähdels“.
Herzliche Grüße aus ROW
Jürgen K.
Schaeferin 20. Mai 2021 — Autor der Seiten
moin jürgen,
danke dir! freu mich, wenn ich was von unserem alltag erzählen/erklären kann. schäfer sind ja nun auch schon fast die dinosaurier unter den berufen ;-)) vom aussterben bedroht sowieso. es gibt nur noch ein paarundtausend berufsschäfer….
liebe grüße
anke