Die Schäferin vom WeidenHof

Nebla und die Nebelschafe

nächtliche Stallzeiten

Die Lammzeit neigt sich dem Ende zu. An der Stelle hat man als Schäferin schon so einige kurzschlafende Nächte hinter sich. Wenn man das Glück hat, einen Kollegen auf dem Hof zu haben, der die Frühschicht übernimmt, ist es egal, wie ausufernd die Spätschicht wird. Dennoch ist man froh, wenn es die ein oder zwei Uhr-Grenze nicht überschreitet. Was natürlich nur für ruhige Nächte gilt. Geburtshilfe, Tüddel-Lämmer oder sonstige seelsorgerische Problemchen sorgen schon mal dafür, dass die Spätschicht direkt an die Frühschicht übergeben kann…. Das ist natürlich die etwas unangenehme Seite der Lammzeit. Aber wie oft habe ich es erlebt, dass ich mir ausreichend Vorwürfe machte, weil ich doch mal eine Stunde lang nicht da war, obwohl ich die Stunde noch locker hätte dranhängen können. Gibt ja genug Aufputschmittel.

Eines dieser Aufputschmittel ist das, was ich im Folgenden gerne erzählen möchte. Es ist nämlich so, dass die Spätschicht sich ankündigt, wenn die eigenen Kinder ins Bett gebracht sind. Dann krabbelt man aus der muckelig warmen Betthöhle. Zugegeben, man überlegt zweimal, aber spätestes wenn man gedanklich alle Mamis durchgeht und bei den Problemmüttern hängen bleibt, fällt einem ein, wen man beim abendlichen Füttern besonders im Auge hatte. Ob das Hecheln nicht doch etwas zu heftig war? War da nicht eine eingefallenen Lendengegend und hängende Ohren?  Ooookay, ich steh schon auf. War ja Lammzeit. Also kriecht man die Treppe runter, fröstelt und stellt erstmal den Wasserkocher für den Kaffee an. Der Wollpulli macht alles gleich angenehmer. So, jetzt den Kaffee schön stark und vielleicht noch eine rauchen und dann gehts ab in die Arbeitsklamotten. Bevor der Kaffee seine Wirkung richtig entfalten kann, muss man sich ganz schön konzentrieren. Hab ich alles, was ich noch mitnehmen wollte? Milch für die Flaschenlämmer, noch ein Medikament, die Apfelschalen vom Abendessen für Banou, die Sirnlampe (unglaublich toll bei nächtlicher Geburtshilfe!), neue Spritzen, Papiertücher, Handschuhe oder was man sonst alles vergessen hatte. Ah, das Händi. Ja, ich hab ja jetzt auch so eins… So eins, mit dem man Bilder machen kann. Bin ja immernoch skeptisch mit solchem Technikkram. Am liebsten sind mir Schafe, die duften, kauen, sich bewegen, Laute machen und sonstwie lebendig sind. Aber wenn ich dieses Ding nicht hätte, könnte ich jetzt hier nicht zeigen, was mich dann während der nächtlichen Stallzeiten erwartet. Also gut, in die Tasche gestopft, Arbeitsschuhe zugebunden und auf in die klare Nachtluft. Jetzt ist der Kaffee auch da und ich bin hellwach. Vorbei an den Kühen, die immer entspannt, aber doch wachsam beobachten, wohin dieser Mensch mit dem Licht auf dem Kopf geht. Die Mädchen und Omas schlafen und blinzeln mir zu, während ich an ihrem Stall vorbeihusche und da hinten sehe ich dann schon die Lampe vom Folientunnel, in dem die Mütter wohnen. Und höre sie gelegentlich. Eigentlich liegt eine friedliche Stille über diesem Tunnel, aber es ist keine leise Stille. Hier und da mäht eine Mutter, die über den Mitternachtssnack ihr Lamm verloren hat und nun zurück zu ihrem Schlafplatz wandert und auf dem Weg dahin versucht, ihr Lamm wieder einzusammeln. Die andere ist auf dem Weg nach draußen in den Auslauf, sich mal ein bisschen die Beine vertreten. Entweder hat sie schon ein Lamm oder zwei im Schlepptau und ist bemüht, es in der Dunkelheit nah bei sich zu behalten, oder sie ist noch tragend und kugelt sich so daher. Ein einzelnes Lamm ist erwacht und stellt fest, dass Mutti wohl irgendwohin unterwegs ist und es doch glatt viel zu tief eingeschlafen war. Panisches, helles Stimmchen, ein paar mal und dann ein tief-grummeliges Mööhhhööhhö. Ruhe. Ok, die zwei haben sich gefunden. Während ich näher komme und die leisen Nachtunterhaltungen lauter werden, höre ich auch das beständige Rascheln, welches das synchrone Wiederkäuen hervorruft. Es gibt nie völlige Stille in einer Schafherde. Sie ist zwar leise, aber es ist wie ein immerwährender Basis-Beat, auf dem die Herde so vor sich hinträumt. Und dann, beim Betreten des Stalls, dieser wunderschöne Anblick. So gemütlich kann nichts anderes auf der Welt aussehen. Viele große und kleine Wollhaufen sprenkeln den weichen Strohboden. Meist sind es ein, zwei oder viele kleine Wollhaufen an oder um einen Großen gruppiert. Oder es gibt eine lange Reihe kleiner Knäule entlang einer Gatterwand. Meist eingerollt und wild ineinanderverflochten.

Dann muss ich meist kurz innehalten und kann gar nicht anders als lächeln. Ich grüße leise, damit sie nicht aufgeschreckt werden und bewege mich langsam und ruhig durch die Wollknäule. Hier und da blickt ein müdes Auge hoch, während ausgiebiges Wiederkäuen angesagt ist. Ein auf der Seite in Tiefschlaf verfallenes Schaf rollt seinen Kopf hoch und blinzelt mich an. Ein anderes, was wohl grad einen Traum gehabt haben musste, ist erschrocken und springt halb hoch. „ah, war nur die Frau Schäferin, ich leg mich wieder hin.“ und lässt sich mit einem Seufzer wieder auf den Bauch und Popo sacken. Lämmer melden kurz ihr helles „mäh“-chen und lassen sich von Mama versichern, dass es keinen Grund zur Panik gibt. Die Lage entspannt sich wieder tiefst. So ist es am schönsten und ich lasse kurz meinen Blick durch die gewachsene Herde schweifen, bevor ich gezielt nach den Kandidatinnen zur Geburtsbetreuung für diese Nacht suche.

mitten in der schlafenden Herde

mitten in der schlafenden Herde

Das sind die Momente, in denen ich mich immer über die Lammzeit freue. Dass es sowas gibt, dass man solche Momente erleben kann, ist schon was Feines – was will man eigentlich mehr vom Leben? Wesen, die eigentlich Fluchttiere sind, lassen mich vertrauensvoll durch ihre Träume schleichen und scheinen es auch nicht nötig zu haben, misstrauisch zu werden, wenn ich die Kleinsten, die erst an diesem Tag aus der Box mit Mama durften, kontrolliere oder dem ein oder anderen Lieblingslamm über den Kopf wuschele. Der Hof schläft, die Schafe schlafen und ich mache noch meine Nachtkontrolle. Den Durchfalllämmern gehts besser, es steht keiner mit krummen Rücken da. Keine Mutter scharrt mit den Vorderbeinen Geburtskuhlen, niemand liegt halb auf der Seite und veratmet mit abgespreiztem Hinterbein irgendwelche Wehen. Die frisch Geborenen wurden sanft noch einmal auf die Beine gebeten, ebenso wie die frisch gebackenen Muttis. Einmal stillen, bitte! Als Wochenbett-Hebamme muss ich ja auch die Gewichtszunahme, den Milchfluss, die Wundheilung und den sonstigen gesundheitlichen Status feststellen. Läuft das alles problemlos, liegen sie kurze Zeit später wieder mit vollen Bäuchen an die erschöpfte und zufriedene Mutter gekuschelt. Super. Alles ruhig. Na denn geh ich mal ins Bettchen – die Frühschicht kommt mit dem Frühstück und bei Problemen meldet ihr euch dann, ja? Gut. Dann bis morgen und schlaft schön, Mähdels! Ihr Kleinen natürlich auch….

nachts im stall lamm

leise…

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