Die Schäferin vom WeidenHof

Nebla und die Nebelschafe

Weihnachten mit einem blauen Schaf

In diesem Jahr möchte ich gerne ganz viel Kompliziertes sagen, aber nicht nur mit meinen Worten, denn ich möchte ein Märchen sprechen lassen. Und ich möchte nicht nur mit meinen sonst üblichen Worten, die erklären und logisch sind sprechen, sondern mit einer anderen, etwas spielerischen Facette von mir. Die üblichen Jahresrückblicke … nun, irgendwie mag ich da gar nicht dran. Seit 2 Jahren Pandemie, immer heftigere Spaltung der Gesellschaft, immer einsamere Menschen, immer weniger Verständnis füreinander, immer härtere Fronten, Resignation, Verzweiflung, Wut und eine ganze Menge Traurigkeit, Hilflosigkeit, Ohmacht. Und ich mag hier gar nicht für oder gegen eine „Seite“ sprechen, denn das ist nicht so mein Ding. Wer mich kennt, der weiß, ich hab meist irgendwie immer so meine „eigene Seite“. Paradox manchmal und nicht immer leicht im Umgang, dafür aber mit einer unbestechlichen Integrität, Aufrichtigkeit, Geradlinigkeit und einer möglichst objektiven Wahrheit verpflichtet – auch wenn wir nicht immer wissen, wo genau sie gerade liegt. Aber um so mehr gilt es dann, das herauszufinden. Was mich momentan zutiefst erschüttert, ist zu beobachten, wie es allen Menschen „nicht so gut geht“, egal auf welcher der vielen Seiten. Und das furchtbarste daran ist, dass wir anscheinend auch oftmals brain- und heart-distancing gemacht haben, denn anstatt miteinander zu reden, verweigern wir Gespräche oder kochen hoch. Und dabei sind wir bereit, in egal welcher Form, die lang und mühsam gebildeten Kulturstätten unserer modernen, humanistischen Gesellschaft zu zerstören. Durch Gespräche zur Einsicht in die Welt des anderen und dann zur gegenseitigen Einigung kommen, das wäre Gesprächskultur. Schon Sokrates pflegte eine solche auf einem ganz banalen Marktplatz und verhalf denen, die ein Gespräch wagten, zu neuen, erfrischenden Gedanken und einer Weiterentwicklung des Selbst. Und heute? Heute schlägt sich „die Gesellschaft“ (wer ist das alles eigentlich?) Gesetzestexte um die Ohren, egal ob an passender oder unpassender Stelle, Hauptsache man setzt durch, was man eh schon im Kopf hat. Ob es zu einer Weiterentwicklung führt, scheint dabei unerheblich. Es geht wie immer um: Macht, Recht, Geld. Wo bleibt der Sinn? Wortwörtlich gemeint. Wer kämpft heute noch für die Sinnhaftigkeit seines Daseins, seines Tuns? Und damit meine ich nicht das, was mit einem getan wird, sondern das, was man ganz aus sich heraus von morgens bis abends gern selbst tun möchte, bis man abends todmüde und überglücklich ins Bett fällt. „At the end of the day your feet should be dirty, your hair should be messy and your eyes sparkling…“ hab ich mal irgendwo gelesen und ich fand es so wahr, so unglaublich wahr…. Warum kämpfen wir nicht mit der gleichen Vehemenz für das Funkeln in unseren Augen? Beziehungsweise: warum funkeln die Augen der meisten Menschen nicht, wenn sie ausgekämpft haben? Funkeln, glitzern, strahlen – nicht triumphieren. Ich meinte das Funkeln in den Augen, was meist daher kommt, dass man zum Beispiel am Abend dreckige Füße hat, zerzauste Haare, in meinem Fall extrem nach Schaf riecht und auf einen langen Tag zurückblickt….(andere Menschen mögen beim Lesen hier anderes einsetzen, jeder hat da so sein individuelles Glück…der geehrte Leser bilde vor dem Weiterlesen also bitte erst einen Satz mit: „Ich meine das Funkeln in den Augen, was meist daher kommt, dass…………………… )

Manchmal fühle ich mich wie ein kleines Kind. Ich bin voller Euphorie in dem, was ich tue und merke gar nicht, wie dabei die Stunden vergehen. Und könnte noch stundenlang so weitermachen. Ich beschäftige mich mit Dingen, die machen Menschen unerklärlich als Hauptbeschäftigung gewählt werden können, aber mir sind sie so teuer und lieb wie fast nichts auf der Welt. Während des Tuns spreche ich aus, was ich denke, ohne mir darüber Gedanken zu machen, was „man macht“ und was „man nicht macht“. „Man“ ermahnt mich dann öfters, dass „man“ sich benehmen sollte, denn „die Leute“ mögen nicht so gerne direkt hören, was „man“ denkt. Das sagt „man“ durch die Blume. Da ich nicht man heiße und auch nicht immer Blumen dabei hab, die ich mir beim Reden vor`s Gesicht halten könnte, fühle ich mich bei den Ermahnungen auch nicht immer angesprochen, aber ich bemühe mich. Dafür rede ich öfter lieber mit meinen Tieren und mir selbst (ihr nicht?) und die Tiere antworten mir so laut und alle durcheinander, dass ich immer dazwischenrufen muss: „Halt, stopp, einer nach dem anderen, ich kann doch nicht allen gleichzeitig zuhören!“ Bei Trauer ziehe ich mich in mich zurück und brauche lange, um zu verarbeiten, dass ein Lieblingsschaf gestorben ist. Ich kann immernoch nicht einschlafen, ohne dem Foto von meinem Shep „Gute Nacht“ gesagt zu haben. (Das ist mein Arbeitshund, der vor fast 2 Jahren gestorben ist) Zum Frühstück mampfe ich gierig die Salami, die aus meinen alten heiligen Schafdamen gemacht wurde, denn Geburt und Tod betrachte ich irgendwie als eins, zumindest als Einheit von dem großen wundersamen Prozess, der Leben heißt. Die Schafomis sind halt nicht mehr da, sie sind jetzt bei den Engeln. OK, der Vergleich mit der Omi hinkt, ich geb´s ja zu. Aber ich mache im Alltag auch nicht „mäh“ und auch wenn meine Haare so langsam dieselbe Farbe annehmen, wie die meiner graupelzigen Schafe, laufe ich immernoch zweibeinig. Aber im Emotionalen – da verschwimmt es oft. Und das ist mir auch irgendwie egal, denn ich bin glücklich hier. Was zum Teufel sollte ich mehr wollen? Jawoll, warum versucht eigentlich irgendein Teufel uns immer einzureden, dass wir mehr wollen sollten? Ich habe eine ganz liebe große Familie hier – da gibt es zwei Kinder, einen Mann, zwei Hunde, drei Ziegen, jetzt im Winter neunundsechzig Schafe und zweihundertundfünfzehn Hühner, die mir mit ihrem Gegacker manchmal zuviel werden, wenn Kaffeekränzchen ansteht… ich verkrümel mich dann meist schnell zu den dösenden Schafen. Ein paar unserer Mähdels haben vor Kurzem entschieden, auszuziehen, um eine eigene Familie zu gründen. Das war ein bisschen traurig, aber ab und an kommt sowas auch vor. Es wurde halt auch ein wenig eng hier mit so vielen. Und letztlich war es dann doch alles, wie es sein sollte, denn wenn man von seinem neuen Familienmitglied mit Glückstränen in den Augen abgeholt wird und im neuen Zuhause ein liebevoll gemachtes Bettchen wartet, ist alles in bester Ordnung. Um uns herum schwirren gerade ein paar Zweibeiner und es werden zarte Bande geknüpft, auch dabei bin ich aufgeregt wie ein Kind, weil ich weiß ja noch nicht, wie gut wir zusammen spielen können. Ich habe mich als „Vorgesetzte“ versucht, aber das mit dem Vorsitzen war irgendwie nicht so meins. Weil andere dann ja nachsitzen müssen und beim Nachsitzen fühlt man sich bekanntlich nicht so gut. Ich mag nicht, wenn ich andere dazu bringen muss, sich nicht so gut zu fühlen. Nein, das alles macht für mich irgendwie keinen Sinn. Ebensowenig wie „einen Job zu haben“. Was ist denn ein j-o-b (sprich: iyooob) ? Und wie kann man den „haben“? Man kann eine Hose haben, ein Hemd haben, einen Schäferstock haben, manchmal kann man auch Bauchweh haben, aber einen iyooob? Hm. Ist das schwer, wenn man den die ganze Zeit in der Tasche mit sich rumtragen muss? Oder kann man den auch Zuhause in den Schrank legen? Aber was ist, wenn man rausgeht und vergessen hat, ihn mitzunehmen? Hm.

Ich glaube jedenfalls, ich habe keinen iyooob. Oder vielleicht hab ich ihn auch irgendwo verloren. Keine Ahnung. Meine Taschen sind leicht und ich kann ausgelassen über die Wiese rennen, während meine Haare im Wind wirbeln und mit den Fellfarben meiner Herde verschmelzen. Im Winter kann ich im Stroh liegen, ohne Angst haben zu müssen, einen iyooob schmutzig zu machen und dabei die Hände in den duftenden wattigen Haaren meiner Mähdels vergraben und mich stundenlang über diese neue Graupelzfaser meiner Ohnehornmoorlambi zu euphorisieren. Und ich habe Blau gefunden. Es lag verborgen unter einem Irgendwas aus matschigem, von Sorgen und Dreck verkrustetem, manchmal mit bitteren Tränen umspülten und oft zähflüssigem Gift, das unvorhersehbar aus allem möglichen Ecken geschossen wurde, von denen mir manchesmal noch nicht einmal bewusst war, dass es sie gab. Inmitten eines fürchterlich lautem Gedonner und herzzerreißendem Aufbrechen der dichten wolkigen Illusion von Realität funkelte ein kleines Ding, ein Etwas, was ich nicht weiß was es ist. Aber es glitzerte und warf die Sonnenstrahlen hinter den düster geballten Schwaden in seiner hell strahlenden kaleidoskopartigen Schönheit ganz kurz zurück auf das Licht. Wie ein Kind, das ein besonderes Steinchen ausgräbt und mit nach Hause nimmt, habe ich es aus diesem Schlick gepult. Und das Unwetter hatte aufgehört, zu sein.

Matsch kann weggeschaufelt werden, Tränen trocknen, nasse Klamotten ebenso und alles, was unterspült wurde, wird eben neu stabilisiert. Das alles macht nichts, denn es gibt etwas so ungeheuer Wertvolles im Leben, was gleichzeitig so unbeschreiblich wie unfassbar ist. Und es ist einfach so da, ohne Anstrengung, ohne Benehmen, ohne iyoob und ganz oft wachsen Blumen darauf, die man sich nicht beim Reden vor`s Gesicht halten muss, denn dafür muss man sie ja abschneiden, was sie aufhören lässt, zu wachsen. Blau. Ich habe Wolle Blau gefärbt (danke Euch zwei Blaumacherinnen für die schöne Zauberstunde…), mein Haus guckt mit blauen Augen in die Welt, mein Tee fließt aus einem blauen Schiffchen in meinen Mund und mein Herz hat im blauen Himmel aufgeatmet. Ich bin hier mit allem, was ich bin und eben ohne das, was ich nicht kann, aber jetzt gerade ganz fest gehalten von … tja – von was eigentlich? Von einer Herde, die ich nun in einer nie gekannten Ruhe und Freude ganz alleine führe? Zu simpel. Von stillen, unscheinbar emsigen Menschen, die ohne Worte einfach immer wieder da sind? Nicht nur das! Von einem Hof, der unter dem Ächzen meiner Muskeln und tausenden schlaflosen Nächten entstanden ist? Zu materiell. Von zwei Hunden, deren selbstlose Aufopferung für ihre Freundin mich immernoch in Staunen versetzt? Zu logisch. Von der Erfahrung, dass es immer weitergeht und dass oft durch jede Krise ein neuer Schritt entsteht, der vorwärts bringt? Ein alter Hut! Vielleicht auch ein bisschen von mir selbst, die nie aufhören will, mit ihrer kindlichen Freude die Schönheit dieser Welt zu entdecken – egal ob meiner oder deiner, über oder unter dem Äquator, jenseits des Polarkreises oder im Lockdown, unter Lebewesen mit vier oder zwei Beinen, schweigend oder in allen Sprachen sprechend. Und ganz wahrscheinlich ist es ein bisschen von all dem. Und ganz viel Blau.

Und nun erzähle ich Euch mein diesjähriges Weihnachtsmärchen….

…ein Weihnachtsmärchen für euch, meine Mähdels….

Der rote Schäfer und sein blaues Schaf

Josef war immer ein armer Mensch gewesen. Das Licht der Welt erblickte er in einer alten Lehmhütte, die an einem Stall anlag. Von klein auf war er es gewohnt, mit den Schafen zu essen, die seine Eltern züchteten. Denn die Tür zum Stall war immer offen: Im Winter, damit es in dem kleinen Raum, indem die Familie lebte, warm war, und im Sommer, weil man sich an die offene Tür vom Winter gewöhnt hatte. Josef roch den Gestank nicht. Er kannte nichts anderes. Auch, weil er fast den ganzen Tag seinem Vater beim Füttern, Scheren und Hüten der Schafe helfen musste. Die Schafe und ihr Geruch waren Josef vertrauter als sein eigener.

Der Junge trug immer dieselben zerlumpten Kleider auf dem Leib, denn seine Familie war wegen der hohen Abgaben, die sie an den gefräßigen König entrichten mussten, zu arm, um neue zu kaufen. Die anderen Kinder hänselten Josef in der Dorfschule aber nicht nur wegen seiner Lumpen, sondern mehr waren seine leuchtend roten Haare Zielscheibe ihres Spotts. ‚Feuerkopf‘ nannten sie ihn und fuhren ihm durch seine langen Haare, wobei sie so taten, als hätten sie sich verbrannt. Einmal hat ein Junge ein rohes Ei über seinem Kopf zerschlagen, sodass das Innere über Josefs Haar lief. Der Junge, der das getan hatte, meinte nur achselzuckend, er wollte sich ein Spiegelei braten.

Als Erwachsenem erging es Josef nicht besser wie in seiner Kindheit. Seit sein Vater gestorben war, musste er mit seiner kränkelnden Mutter alleine die Schafzucht betreiben. Und er musste härter arbeiten, weil der gefräßige König mit der Zeit noch gefräßiger geworden war und von Monat zu Monat höhere Abgaben verlangte. Menschen schworen, sie hätten gesehen, wie eine ganze Kuh in sein Schloss geführt wurde, und dass nach dem Abendessen die Hausdiener nur noch die sauber abgenagten Knochen heraustrugen. Ein weiteres Gerücht, an das die Leute felsenfest glaubten, lautete, der König habe im Schloss alle Türrahmen vergrößern lassen, weil er in ihnen stecken blieb, sodass Mägde und Diener sich von hinten gegen ihn stemmen und von vorne an seinen Armen ziehen mussten, um ihn zu befreien.

Josef war im mittleren Alter noch immer arm, trug noch immer zerlumpte Sachen auf dem Leib und wegen seiner kräftigen roten Haare wurde er noch immer ‚Feuerkopf‘ gerufen. Aber diesmal waren es nicht nur seine früheren Klassenkameraden, die ihn so schimpften, sondern auch noch deren Kinder.

Einmal hatten ihm zwei Nachbarsjungen, während er mit dem Rücken an einen Baum gelehnt vor Erschöpfung eingeschlafen war, eine Lunte in den offenen Mund gelegt und das andere Ende angezündet. Josef war von dem Zischen noch rechtzeitig aufgewacht, um das brennende Seil fortzuwerfen. Aus dem Gebüsch hörte er das laute Lachen der Lausbuben, die nach dem Streich eilig davonliefen. Josef konnte über diese Art von Scherzen nur den Kopf schütteln.

So hielt der rote Schäfer, wie alle im Dorf ihn wegen seiner roten Haare nannten, es auch für einen Streich, als er in den Stall zu den neugeborenen Lämmern kam und entdeckte, dass eines ein blaues Fell hatte. „Komm her, mein Liebes, wir waschen dir die Farbe aus“, sprach er sanftmütig zu dem Lamm, nahm es unter den Arm und ging mit ihm zur Wassertränke. Er griff nach einem zerfetzten Lappen, machte ihn nass und rubbelte damit dem Tier kräftig durch das blaue Fell – aber die Farbe wollte sich nicht lösen. Josef tat dies mit einem Achselzucken ab. Er dachte bei sich, sie werde schon herauswachsen. Aber als nach Tagen die blaue Farbe nicht verschwunden war sondern immer kräftiger wurde, erkannte er, dass dies kein böser Scherz von Lausbuben war. Er hatte ein Schaf, auf dessen Körper blaue Wolle wuchs.

Josef erzählte niemandem von seinem blauen Schaf. Immer, wenn er die Herde auf die Weide trieb, zog er ihm die Kleider seiner Mutter an, die vor einem Jahr gestorben war. Da seine Mutter sehr mager und klein war, musste er schon bald mehrere Kleider aneinandernähen, damit das Fell des Schafes bedeckt war. Als einmal ein Wanderer des Weges kam und ihn fragte, warum eines der Schafe Kleider trug, antwortete dieser, das Schaf sei sehr schamhaft und ginge nackt nicht aus dem Stall.

Schnell verbreitete sich im Dorf die Neuigkeit von dem roten Schäfer, der ein Schaf hatte, das in Frauenkleidern auf der Weide graste. Aber keiner stellte die Geschichte des Schäfers in Frage. Zu einem verrückten Schäfer gehöre eben auch ein verrücktes Schaf, sagten sie.

Schließlich war im Frühling die Zeit gekommen, die Schafe zu scheren. Das blaue Schaf nahm sich Josef als erstes vor. Dazu setzte er sich auf einen Stuhl und klemmte sich das Tier geschickt zwischen die Beine. Es zappelte nicht wie die anderen Schafe, die diese Prozedur das erste Mal über sich ergehen lassen mussten, sondern hielt ganz still. Mit einer scharfen Schafschere befreite der Schäfer das Schaf von seiner wolligen Last. Als er fertig war, ließ er das Tier los. Es schüttelte sich und lief davon.

Josef warf die blaue Wolle, die um ihn herumlag, in einen Korb. Sie war weich wie Luft, warm wie Sonnenstrahlen und schmiegsam wie Wasser. Es war die beste Wolle, die er jemals in Händen gehalten hatte.

Am nächsten Morgen fuhr Josef mit seiner Wolle auf den Markt, um sie in Säcken an Weber zu verkaufen, die sie zu feinen Tuchen weiterverarbeiteten. Das größte Interesse rief dabei die blaue Wolle hervor.

„Sag, Schäfer, hast du diese Wolle etwa schon gefärbt?“, fragte einer der Kunden, die ins Innere des Sackes lugten.

Josef antwortete: „Nein, ich hab ein Schaf, auf dessen Körper blaue Wolle sprießt.“

Die Menschen, die um ihn herumstanden, schnappten nach Luft und wichen vor der Wolle zurück. Sie hielten sie für Teufelszeug und bekamen Angst.

Der Kunde, der gefragt hatte, nickte aber und beschloss, die blaue Wolle zu kaufen. Er gab dem roten Schäfer das Doppelte, was er für die normale weiße Wolle verlangte.

Von nun an mieden die anderen Dorfbewohner Josef. Sie beschimpften ihn nicht mehr als ‚Feuerkopf‘, warfen keine Sachen mehr nach ihm und auch kein Lausbub kam mehr auf seinen Hof gelaufen, um ihm einen Streich zu spielen; sie fürchteten sich vor dem blauen Schaf, das sie auch Teufelsschaf nannten. Menschen schworen, sie hätten gesehen, wie der Schäfer das Schaf mit Asche fütterte und ihm Blut zu trinken gab. Ein weiteres Gerücht, an das die Leute felsenfest glaubten, lautete, das Schaf würde Feuer speien und hätte messerscharfe Zähne, die so lang wie die Unterarme eines erwachsenen Mannes seien.

Josef spürte, dass ihm das Schaf Glück brachte. Er genoss die Zeit, die er mit ihm verbrachte: So redete er mit dem Tier und vertraute ihm seine Geheimnisse und Wünsche an, die ihm auf der Seele lagen. Auch tröstete das Schaf seinen Schäfer, wenn er traurig war, indem es ihm den Kopf auf die Schulter legte und mit seiner Wolle die Tränen von dessen Gesicht wischte.

Im nächsten Jahr fuhr der rote Schäfer wieder mit seinen Waren zum Wollmarkt. Mehrere Säcke waren mit weißer Wolle und ein Sack war erneut mit blauer Wolle gefüllt.

Kaum hatte der Mann, der letztes Jahr die Wolle von dem Schäfer gekauft hatte, diesen erblickt, rannte er schon auf ihn zu: „Schäfer, Schäfer! Ich möchte dir deine blaue Wolle abkaufen! Und ich gebe dir das Hundertfache dafür, was ich dir letztes Jahr gezahlt habe! Die Wolle ist ausgezeichnet! Die Kleider, die aus ihr gefertigt wurden, liegen wie eine zweite Haut auf demjenigen, der sie trägt und die Farbe wird nicht blasser, egal wie häufig man die Kleider wäscht.“

Josef staunte nicht schlecht über dieses Angebot. Das Hundertfache! Damit konnte er die anstrengende Schafzucht aufgeben, sich endlich ein schönes Haus bauen und ein geruhsames Leben führen. Also verkaufte er dem Kunden die Wolle.

Und auch im dritten Jahr fuhr Josef zum Wollmarkt, diesmal nur mit einem Sack blauer Wolle im Gepäck. Aber der Schäfer war überrascht, als dort nicht der alte Kunde, sondern zwei Ritter auf ihn warteten. Sie sagten ihm, der König wolle mit ihm sprechen und ihm ein Angebot machen. Sprachlos stimmte Josef zu, und in Begleitung der Ritter fuhr er hinauf zum Schloss. Dort angekommen, erwartete der König ihn schon im Thronsaal. Er war wirklich unglaublich dick, der dickste Mensch, den Josef jemals gesehen hatte. Er glaubte nun auch, dass dieser Mann mühelos eine ganze Kuh verschlingen konnte.

„Sei gegrüßt“, sprach der Monarch. Josef senkte das Haupt, wie es vor dem König üblich war, zumindest hatte er das gehört.

„Sieh dir meine Kleidung an, Schäfer!“, sagte der König, breitete die Arme aus und drehte sich einmal um sich selbst.

Josef sah, dass der König ein blaues Gewand trug, das mit Diamanten besetzt war. Der Stoff schimmerte wie das Meer auf seinen Schultern und die Diamanten wie Sterne, die in das Wasser gefallen waren.

„Dieses Gewand wurde aus deiner Wolle gefertigt, Schäfer. Ist es nicht das schönste Kleidungsstück, das du jemals gesehen hast?“, fragte der König.

Josef nickte. „Ja, mein Herr. Es steht Euch vorzüglich.“

„Und mir ist zu Ohren gekommen, du hättest ein Schaf, das für die wunderbare Wolle, aus der mein Gewand gefertigt wurde, verantwortlich ist. Entspricht dies der Wahrheit?“, fragte der Monarch weiter.

Josef nickte. „Ich verkaufe Euch die Wolle, wenn Ihr möchtet.“ Josef wagte nicht zu sagen, was er letztes Mal für die Wolle bekommen hatte. Das erschien ihm zu vermessen.

„Ich möchte nicht die Wolle“, winkte der König kurzerhand ab. „Ich möchte dein Schaf.“

Josef musste schlucken. „Nun, werter Herr, ich kann Euch jedes Jahr die Wolle liefern, dann braucht ihr Euch nicht um die Pflege des Tieres zu kümmern und …“

„Ich will doch nicht die Wolle. Kleider sind zwar schön, aber aus ihnen habe ich mir nie sonderlich viel gemacht“, unterbrach der Monarch ihn und eröffnete dem roten Schäfer ohne Umschweife: „Für mich zählt, was meinen Gaumen erfreut. Ich will, dass meine Köche mir aus dem Schaf ein Gericht bereiten. Wenn das Tier die beste Wolle der Welt hergibt, wie köstlich und zart muss dann erst sein Fleisch sein!“ Die Augen des Königs funkelten. Er stöhnte, als könnte er das saftige Fleisch schon auf seiner Zunge schmecken.

„Ich kann das Schaf nicht schlachten“, widersprach Josef. „Mit dem Ertrag durch den Verkauf seiner Wolle konnte ich mir ein schönes Haus bauen und ein gutes Leben führen.“

„Ich gebe dir eine Truhe voll mit Gold und Edelsteinen für das Schaf. Was sagst du?“, bot der fette König dem roten Schäfer an. Als Josef zögerte, erhöhte der König sofort das Angebot: „Zwei Truhen voll mit Gold und Edelsteinen will ich dir geben! Du wirst bis ans Ende deines Lebens unendlich reich sein. Reicher als das ganze Volk zusammen!“

„Unendlich reich sein. Reicher als das ganze Volk zusammen“, wiederholte Josef leise vor sich hin. Sein Schicksal schien sich zu wenden. Zwar war er durch die blaue Wolle schon zu einem stattlichen Vermögen gekommen, das in den kommenden Jahren noch wachsen würde, wenn sich in der Welt herumsprach, was für wundervolle Wolle er feilbot. Aber nie würde er zwei Truhen voll mit Gold und Edelsteinen mit ihr verdienen.

„So soll es sein. Ich verkaufe dir das Schaf“, sagte er schließlich.

In Vorfreude auf das Mahl leckte sich der König über die Lippen. Er würde das köstlichste Gericht essen, das jemals ein Mensch gegessen hatte, davon war er überzeugt. Es wäre ein Gericht, das sein Leben verändern würde. „Heute zu Mittag schicke ich zwei Ritter zu deinem Haus, die dir die Truhen bringen und mein Schaf abholen werden.“

Josef antwortete nicht mehr sondern nickte nur.

Schließlich, zu Mittag, kamen die Ritter auf zwei Pferden in den Garten des Schäfers geritten. Hinter einem der Pferde war ein Karren gespannt, der die zwei Truhen mit Gold und Edelsteinen enthielt. Auf dem Rückweg zum Schloss würde dann das Schaf darauf Platz finden.

Die Ritter stiegen ab und stellten Josef die beiden Truhen vor die Türschwelle. Anschließend zeigte der Schäfer, der in diesem Moment keiner mehr war, den Rittern den Stall. Josef konnte nicht hinsehen, als sie das blaue Schaf am Zügel herausholten und es auf den Karren luden. Als er einmal aufblickte, sah ihn das Schaf, das sein Leben so bereichert hatte, direkt in die Augen. Und Josef meinte, er sähe in diesem Blick einen Vorwurf. Er fühlte sich elend, als er die Türe seines schönen Hauses schloss. Er würde das Schaf nie wieder sehen; nie wieder würde er ihm seine Geheimnisse und Wünsche ins Ohr flüstern und nie wieder würde es ihn trösten, wenn er traurig war. Aber er wollte sich mit dem Gold und den Edelsteinen alle seine Wünsche erfüllen und bei so viel Reichtum schien ihm Trauer undenkbar zu sein.

Noch am Abend, als der Schäfer mit einem Krug Wein in der Hand, den er schon mehrmals an diesem Tag gefüllt hatte, in seinem Haus am Tisch eingenickt war, hörte er es an seine Haustür pochen. Als er die Tür öffnete, standen zwei Ritter vor ihm, die sagten, der König sei nach dem Verzehr des Schaffleisches gestorben. Sie warfen dem Schäfer vor, das Schaf vergiftet zu haben, um den König zu töten.

Bevor Josef ein Wort sagen konnte, ergriffen ihn die zwei Ritter auch schon, ketteten ihn auf dem Karren an und fuhren mit ihm hinauf zum Schloss, wo er in den Kerker geworfen wurde. Aber als die Ärzte versicherten, das Fleisch des Schafes sei nicht vergiftet worden, es sei von Natur aus nicht genießbar, ließ man Josef laufen. Man vertrieb ihn jedoch aus dem Königreich. Er verlor sein schönes Haus, seine edle Kleidung und seine beiden Truhen, die bis an den Rand mit Gold und Edelsteinen gefüllt waren. Von nun an zog er als Bettler verirrt durchs Land, ohne jemals wieder einen Freund zu finden.

Josef starb nach einigen Jahren als armer Mensch auf einem Waldweg. Er musste aus der Welt scheiden, ohne einen Taler in der Tasche zu haben. Aber was ihn noch ärmer machte, war, dass er jahrelang niemanden hatte, dem er seine Geheimnisse und Wünsche erzählen konnte und der ihm Trost spendete in seiner schweren Zeit.

Quelle: Martin Lindner / von: Märchenbasar.de

….ich wünsche Euch allen eine be-sinnliche Weihnachtszeit. Erinnert Ihr Euch an den Anfang des Textes? … Ja, genau. Ich wünsche Euch Sinn und dass Ihr Euer Leben mit Sinnhaftigkeit füllen könnt. Mit dem, was Ihr herausfindet oder herausgefunden habt, was Euch glücklich macht, wenn man Euch einen Moment schenkt, um Euch zu besinnen. Ich möchte Euch gerne diesen Moment schenken und ja – ich weiß, dass das Glück nicht einfach an der nächsten Ecke gekauft werden kann. Und oftmals scheint es so weit, weit weg, dass man aufgegeben hat, es zu erreichen. Aber es beginnt meist ganz leise und langsam wieder zu keimen – in Dir. Und mir. Dann braucht es diesem Moment der Stille und der Besinnung. Schau hin auf dieses kleine zarte Glück. Es ist noch so verletzlich, leicht kann es brechen, wenn wir danach greifen wollen und es ans Licht zerren wollen und laute Stimmen werden es zerbrüllen. Psssst. Leise. Nichts anderes mehr in der Stille dieser Nacht.

>im Flüsterton:< vielleicht ein blaues Schaf, ja – das wäre schön, ein blaues Schaf dabei zu haben. Euch allen und Euren Familien wünsche ich eine stille Nacht mit einem blauen Schaf unter einem glitzernden Tannenbaum und einen Hauch von Heiligkeit im ganz Banalen und einfach so.

Frohe Weihnacht auch von meinen Mähdels. Määäh.

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10 Kommentare

  1. Corinna 23. Dezember 2021

    Liebe Anke!
    Vielen Dank für deinen schönen Beitrag. Ein schönes Weihnachtsfest im Kreise deiner großen Familie, egal ob Zwei- oder Vierbeiner.
    Ganz liebe Grüße! Corinna

    • Schaeferin 23. Dezember 2021 — Autor der Seiten

      danke! dir auch ein schönes fest mit deinen federdamen. snowwhite hat sich ja pünktlich fürs fest hübsch gemacht … 😉
      viele liebe grüße zurück

  2. Uschi 25. Dezember 2021

    Liebe Anke,
    Ein schönes Märchen. Ich könnte schwören können , dass du es geschrieben hast. Denn es passt so wunderbar.
    Noch Frohe Festtage wünsche ich euch
    Uschi

    • Schaeferin 27. Dezember 2021 — Autor der Seiten

      🙂
      scheint noch mehr so schreiberlinge zu geben… ;-D
      aber du hast recht – es war das allerperfekteste weihnachtsmärchen für dieses jahr. deswegen wollte ich es auch so gerne teilen. freude teilen, euphorie teilen, das gute teilen. so wichtig in dieser zeit. schön, dass es euch gibt.

  3. Kathrin 25. Dezember 2021

    Liebe Anke,

    was für ein wundervoller Text…er funkelt förmlich, ich kann’s gar nicht beschreiben.

    Hab eine wunderschöne Weihnacht, viele liebe Grüße

    Kathrin

    • Schaeferin 27. Dezember 2021 — Autor der Seiten

      genau! 🙂 voll schwer, das funkeln in worte zu packen. aber hier funkelte alles so…. vor allem die blauen schafe…
      auf ein jahr voller wollfreuden!
      komm gut ins neue jahr – auf dass das funkeln nicht aufhört!

  4. Daniela 26. Dezember 2021

    Liebe Anke,
    Danke für Deine schönen und lebendigen Zeilen. So kompliziert kam mir Dein Text letztendlich gar nicht vor 🙂 Auch wenn das Märchen ein ganz Ungutes Gefühl bei mir hinterlassen hat. Na gut… ich werd mein blaues Schaf einfach nicht für Gold und Silber hergeben.
    Auf die Wesentlichen Dinge im Leben und danke, dass ich in diesem Jahr ganz real Teil des Weidenhofs sein durfte, wo die Welt mir meist noch ganz in Ordnung schien.
    Wohlig warme Rauhnächte für Dich und alle Zwei- und Vierbeiner vom Hof!
    Daniela

    • Schaeferin 27. Dezember 2021 — Autor der Seiten

      liebe dani, „gold and silver blind the eye, temporary riches lie. come and eat from heavens store, come and drink and thirst no more…“ heißt es in einem meiner lieblingslieder…. hier auf dem weidenhof ist ganz viel platz für blaue schafe und jeder darf seins mitbringen. 😉 ich hoffe doch, dass wir im nächsten jahr auch noch ganz real zusammen essen ernten, blaue schafe scheren und ab und an am feuer unseren durst stillen… kommt gut ins neue jahr und dann bis bald – du warst schon vel zu lange nicht mehr hier!

  5. Daniela 17. Januar 2022

    Spät aber jetzt…. vielen Dank, liebe Anke! Schaun wir mall, was dieses Jahr mit all seinen Hürden noch bringt. Ich werd wohl lernen drüber zu springen.
    Lass michraten… der Song ist von Dead Can Dance?! 😉 Ja, das werden wir… Um’s Feuer tanzen und singen und über die “power of passion“ philosophieren. Ich freu mich drauf!
    Auf bald!
    D.

    • Schaeferin 21. Januar 2022 — Autor der Seiten

      nee, ist ane brun…. 😉 aber wie auch immer: lass uns alle songs dann demnächst wieder am feuer hören – mit ohne nach vor arbeit, egal. hauptsache zusammen feuer…. 🙂

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