Wow. Wolle. Viel Wolle. Heute habe ich die Wolle meiner Schafe in Kisten verpackt und unter den Dächern, wo die Schwalben nisten, sortiert. Nur dass die Vögelchen mir nicht beim Einpacken geholfen haben. Von wegen, die Guten ins Töpfchen, die Schlechten….. Muss Frau Schäferin alles alleine machen. Aber, wie der Beitrag schon heißt: wat wollste mehr? Schau es dir doch an! Dutzende duftende Vlieshaufen, die nach Sekunden meine Hände eingefettet haben und meiner Haut eine schützdende Lanolinschicht geben, dazu der Geruch meiner Schafe, an dem der Winter hängt, die Lammzeit, die kalten klaren Nächte draußen mit den mini-Mähchens und dem glücklich surrenden gurrenden Mama-mutterns….. was will man da mehr, als dieses kuschelige Glück in den Händen zu halten?
Vorgestern war Schafschur angesagt. Alle 55 Mütter und jungen Damen mussten einmal zum Frisör bitte. Der Sommer kommt, da brauchts Bikini-Figur. Strickkleid ist nächste Saison. Bei der Gelegenheit hat der Bock sich auch gleich mal rasieren lassen. Jetzt sind alle fein gemacht. Wurmkur beendet, Kontrollprobe genommen, nichts mehr gefunden, Selen ist substituiert, Cobalt-Boli sind geschluckt, Haare wieder hübsch. Naja, hübsch…. na gut, wächst ja wieder. Aber wenn es jetzt langsam stetig wärmer wird, dann werde ich auch immer ganz kribbelig, die Damen aus ihrem Winter-hechelpelz zu befreien. Schließlich hängt da ein ganzes Jahr an ihnen und das ist nicht gerade leicht…. Mir kommt komischerweise immer, aber auch immer die Schafskälte direkt nach der Schur entgegen. Zumindest unsere Schafskälte. Immer, wenn geschoren wurde, wird es kühl, manchmal auch nass. Aber zum Glück haben wir ja eine provisorische Unterkunft, in der die große Herde auch sommers dann im warmen Stroh liegen kann, wenn der Pelz erstmal ab ist und die Schafglieder vom Kälteschock erfasst werden. Die Mähdels danken es mir. Am nächsten Morgen gehts wieder raus und ich kann kaum zusehen, so schnell wird die Wiese abgegrast. Jetzt muss Futter her, um Wärme zu produzieren und dann wird gefressen, was das Zeug hält. Finde ich auch nicht schlecht. So gehen die Mähdels dann schön rund in den Sommer. Bis zu 30 % fressen die Schafe mehr, wenn sie geschoren sind, habe ich von einem erfahrenen Schäfer gelernt. Super – so machen wir das!
Auch wenn ich mich immer bemühe, die Damen nicht zu lange Schwitzen zu lassen, habe ich dennoch das Gefühl, sie finden das immer erstmal komisch. Besonders die jungen Damen. Zum ersten Mal in ihrem Leben einen Frisör-termin erlebt und dann das! Als junge Schafdame riecht man nach den Schermessern, dem Öl, mit dem diese Dinger in unglaublich schneller Geschmeidigkeit die kostbaren Haare in Lagen vom wohlgeformten Popo schälen. Man riecht nach dem Scherer, der schwitzend und ächzend mit krachendem Rücken Schaf und Messer sehr ausbalanciert hin-und herwendet und überall piekst und zwickt es dann. Ja, so manche Schafdame wirft mir hinterher einen vorwurfsvollen Blick zu und man sieht ihr förmlich noch ihre Entrüstung über die Gast-Schäfer an, denen ich erlaubt hab, einen so zuzurichten! Aber spätestens nach einer Woche, wenn die Stoppeln begonnen haben, nachzuwachsen und schon längst wieder aufgehört haben, zu pieksen, wenn die Damen voller Leichtigkeit durch einen lauen Sommernachmittag hüpfen und festgestellt haben, dass intensivere Sonnenwärme nun nicht mehr panisch den Schatten aufsuchen lässt, habe ich das Gefühl, sie vergessen es wieder – oder haben es mir nachgesehen.
Die Mütter, die das Scheren schon kennen, sind manchmal ganz froh, dass sie nun „nur“ noch Milch machen müssen, fressen müssen und nach ihren Lämmern sehen. Endlich ist der dicke Pulli aus! Die Omas sind manchmal ganz besonders beglückt. Auf die alten Tage ist vieles eh schon etwas behäbiger, da wirkt man gleich zehn Jahre jünger mit solch einem Haarschnitt…
Wolle ernten ist so ähnlich wie Heu machen. Man muss zusehen, dass das Schnittgut möglichst trocken bleibt, aus unterschiedlichen Gründen, aber man beginnt, zeitgleich mit der Terminabsprache mit anderen Schäfern und Helfern, penibel das Wetter zu beobachten. Notfalls wird der Unterstand noch mit einer Plane abgehängt und rechtzeitig alle „Schäfchen ins Trockene geholt“. Sobald die Schermeister hier auftauchen, gehts auch schon los: einzelne Schafe aus dem Pferch herauspicken, auf den Popo setzen und dann surren die Maschinchen. Ich kenne da einen irischen Schäfer, der schon länger die Schafe hier meistens schert, keine Ahnung wieviel Jahrhunderte lang der das schon macht, aber er hat eindeutig das sicherste Gespür für die neuesten Haarmodetrends in der Schafwelt. Da auch Schäferrücken nicht alles aushalten, gibt es immer mal den einen und den deren, der dazukommt, aushilft, ersetzt. Meist haben wir bei Kaffee, Keks, Wollduft und lautstark blökender Hintergrundkulisse einen netten Nachmittag. man tut halt, was man kann, versucht lange nicht zu zählen, erzählt sich nette Geschichten, tauscht Neuigkeiten aus, wirft den ein oder anderen Witz hin- und her und das Schaf gleich dazu. Irgendwann traut man sich, mal nachzugucken und wundert sich, ob die Herde schon immer so groß war und woher all diese neuen Wollmäntel kommen? Wir haben doch bestimmt schon mindestens tausend Schafe geschafft….. naja, guckt man später halt nochmal. Irgendwann lichtet es sich tatsächlich. „Nur noch fünf, sechs Schafe!“ ist meist der Ausruf für: naja, sind noch n paar, aber geht dem Ende entgegen. Wenn es dann wirklich nur noch fünf, sechs Schafe sind, ist man auch schon fast fertig. Oder der Rücken. Oder der Abend. Oder alles zusammen.
Die ersten beiden Nächte haben die Mähdels also im Stall im kuscheligen Stroh verbracht. Heute war es trockener und wärmer und sie schienen ganz ausgeglichen und zufrieden zu sein, vergnügt grasend. Also dürfen sie draußen schlafen. Es soll nicht regnen, ich habe den Stromzaun gespannt wie einen Flitzebogen, damit niemand hineinhüpft und noch reichlich frische Wiese für den Abend, die Nachtmahlzeit und den Morgen gesteckt. Und den ganzen Nachmittag habe ich die Wolle verpackt.
Normalerweise – und das muss ich an der Stelle wieder wie so oft betonen – wird Wolle hier in Deutschland nach der Schur weggeschmissen. Wir Menschen sind seidenweiche Fasern gewöhnt, kennen funktionstaugliche Outdoor-Kleidung, die Wassersäulen abhält und finden es eh viel zu anstrengend, von der Rohwolle zum fertigen Pullover zu arbeiten. Man muss sie waschen, kämmen, bzw. maschinen-kardieren, spinnen und dann fast kunsthandwerklich weiterverarbeiten. Das alles sind unglaublich viele Arbeitsgänge, die oftmals in verschiedenen Zünften vorgenommen wurden, aber wer will das alles heute schon als Unternehmen in seine Lohnkosten aufnehmen? Schade, denn die alten Handwerke gehen dadurch verloren. Wer kennt noch einen guten Weber, eine zuverlässig arbeitende Spinnerei und vor allem: wer kennt sich noch mit den verschiedenen Wollarten aus? Merino-Wolle kennt dann doch noch irgendwie jeder vom Namen her, aber kaum jemand weiß, dass sie massenweise aus Neuseeland und Australien importiert wird, wo die Schafe unter manchmal sehr unschönen Bedingungen diese feinen Haare wachsen lassen. Noch dazu wird das Haar dann klimaschädlich mit Containerschiffen um den halben Globus geschifft. Unsere regionalen, alten Landschafrassen haben sehr unterschiedliche Wollqualitäten und als Schäfer kann ich auch gezielt auf Wollqualität züchten. Nur – das wird kaum mehr gemacht, weil es eben die ganzen weiterverarbeitenden Gewerke auch nicht mehr gibt. Stirbt gleichzeitig mit den alten Landschafrassen aus. Schade. Denn selbst aus rauherer Moorschnuckenwolle kann man wunderbar fuß-wärmende, weiche Teppiche herstellen, die grandios vor den Sessel passen, wenn man winters am Kamin sitzt.
Immer, wenn ich die Vliese meiner Schafe in den Händen halte, habe ich dieses Gefühl, dass da unsere gemeinsame letzte Zeit drinsteckt. Das Jahr, was gewesen ist, in dem jede Einzelne von ihnen so ihre Geschichten erlebt hat, die Momente und Ereignisse mit diesem Schaf und mir, das Gefühl, dass ich da etwas in den Händen halte, was einfach nicht weggeschmissen werden darf, weil es ein Geschenk an mich ist von meinen Schafen. Und mit Geschenken geht man netterweise nicht so um, wenn sie von Herzen kommen. Also habe ich organisiert, habe nette Unterstützerinnen gewinnen können, die noch spinnen können oder sich gerne vom Schafsduft berauschen lassen und gemeinsam haben wir es in die Wege geleitet, dass aus der Wolle unserer Schafe Teppiche hergestellt werden. Den ersten Moorschnuckenteppich, den Prototyp sozusagen, halten wir bereits in den Händen. Nun haben sie die Ärmel hochgekrempelt, bei der Schur für mich gleich die Wolle sortiert und ich habe sie heute nachmittag gewogen, in Kisten gestopft und die Pakete für ihre Destination fertig gemacht. Ab zur Kämmerei, los zur Spinnerei und dann zur Webwerkstatt an die Elbe. 60 kg weißes Teppich-Rohmaterial haben meine Moorschnucken mir beschert, dann noch etwas Milchschafwolle, die als Kammzug oder Strickgarn endet und naja, die Schmutzwolle, die wir auch noch sinnvoll verwerten werden. Insgesamt eine Wollernte von 164 kg, die ich heute durch meine Finger habe gleiten lassen. Wat wollste mehr, frage ich mich da. Da haste so nette Schafe, bist draußen an der frischen Luft, unter freiem Himmel, in Sonne, Regen und Wind, die Mähdels fressen sich dick und rund, wuselige Lämmer kriegen Kugelbäuche und neben Kuschelfellen, in denen du immer die Weihnachszeit vor dem Feuer im trauten Heim verbringst und den leckeren Bratenstücken, die deine Festtage krönen, hast nun auch noch so wertvolles Haar. „Das goldene Vlies“ trifft vielleicht nicht nur auf Coburger Füchse zu, wenn man mal Farbe oder unternehmerische Werte kurz beiseite stellt. Es ist schon etwas Besonderes an diesem Schafwesen, dass es so viele gute Sachen macht. Und wenn man sich freut, weil man den Wert einer Sache wiederentdeckt hat, dann ist das doch das Wertvollste auf der Welt, oder?
Da es meine zweite Verpackungs-Prozedur ist, ging alles eigentlich ganz flüssig, Riesen-Karton auf, Wolle abgewogen, meist so zu 10, 20 kg, die großen Bigpacks sortiert, zugetaped, was zugetaped werden muss und weggestapelt. Während meine kleine Tochter so um mich herumspielte und sich wahlweise in Bigpacks versteckte, in Wolle wühlte oder um den Trecker herumlief, überkam mich dann auch zwischenzeitlich vor lauter Woll-glück die Spiellaune. Wir beide formten Bildchen aus Wollstapeln und -locken und erzählten uns was dazu. Das Ergebnis waren wunderbar klebrige Kinderhände, eingefettet von der Wolle und schwarz vom Dreck auf dem Hof. Wunderbar. Schützende Kinderhautschicht. Im Gesicht dazu noch die verräterischen Schokokugeln-Spuren vom Mittag und strubbelige Haare vom Wälzen in den Bigpacks. So sehen kleine Schäferinnen aus. Ich fand, was wir geschaffen hatten, waren richtige kleine Kunstwerke mit enorm tiefgründigem Hintergrund….
Zum ersten Mal werden wir nun auch die braune Mischlingswolle zwischen Schnucke und Milchschaf spinnen lassen und dann mal mit gemusterten Teppichen experimentieren. Mal sehen, was man noch so alles aus der schönen Faser machen kann. Jedenfalls weiß ich, dass wir dann etwas in den Händen halten werden, was nicht gänzlich unbekannt, gekauft, erworben, bezahlt und irgendwie ausgesucht ist. Nein, es ist gewachsen, geworden, ich habe es gefühlt, es wurde verwandelt und trägt dennoch immernoch alles in sich, was meine Tiere und ich gemeinsam erlebt haben. Zum Teil ging das über Jahre, wie die Zeit, die es brauchte von der ersten Idee der Mischwolle, zum Entstehen der neuen Lämmer, übers Heranwachsen der jungen Damen bis zu ihrer ersten Schur und dann hinaus in die Zeit, die wir noch miteinander verbringen werden. Schön ist das. Und Freude bringt das. Besonders, wenn klebrige Kinderhände Wollhaufen herumwirbeln und ein Plappern und Lachen diese wuschelige Arbeit begleitet.
Wat wollste mehr? Wolle ist was Feines. Es liegt an uns, diesen Blick darauf zu haben und den Grad der Wertschätzung dafür zu bemessen. Wenn wir einmal erlebt haben, was Wolle alles bedeuten kann, fällt uns das vielleicht leichter, aber es ist wie mit so Vielem: Nur, weil wir etwas nicht wissen, oder etwas einfach noch nicht kennen, heißt das nicht, dass wir nicht dazulernen können. Oder Vergessenes wiederentdecken könnten. Ich hoffe sehr, dass wir wiederentdecken, wieviel schöne Dinge es direkt zu unseren Füßen gibt, die wir nicht von weit her holen müssen. Nur mal den Blickwinkel ändern und staunen, manche Dinge sind zum Greifen nah….
Silvia 9. Juni 2017
So schön geschrieben… so wahre Worte! Danke, dass wir an deiner Freude, deinem Stolz und deiner Ehrfurcht am Leben teilhaben dürfen.
Ganz liebe Grüße an dich und deine (vier-und zweibeinige) Crew
von Silvia
Schaeferin 9. Juni 2017 — Autor der Seiten
danke silvia! es freut mich immer, wenn das, was ich zwischen den zeilen losschicke, ankommt. die grüße richte ich aus 🙂