Die Schäferin vom WeidenHof

Nebla und die Nebelschafe

Miranda

Ich möchte eine sehr persönliche Geschichte teilen. Eigentlich mag ich es ja lieber, „disziplinenübergreifend“ über unsere Arbeit als naturraumerhaltende Menschen zu reden und dabei Einblicke in den Berufsalltag zu geben, die nicht nur an schönen Bildern hängen bleiben, sondern auch ein wenig von den Hintergründen vermitteln. Schön ist auch der Austausch mit anderen, die auch durch scharfes Beobachten der Tiere und Pflanzen um einen herum versuchen, gute Arbeit „da draußen“ zu machen – man verstrickt sich so herrlich und erzählt sich von den sonderbarsten kleinen  Käferchen und „fachsimpelt“ über  Stoffwechselprozesse bei zentralnervösen Schafkrankheiten…. Oder man teilt einfach nur dieses Grinsen, wenn die Stille „da draußen“ so unglaublich laut zuschlägt und Endorphine freisetzt. Wir sind wenige, die versuchen, andere Wege als die der Naturzerstörung zu gehen. Ja, leider gibt es „Tierhalter“, die nur Fleischproduzenten sind, das ist sehr schade. Aber es gibt auch leidenschaftliche Gemüsegärtner, die ratlos vor Produzenten von grünen Chlorophyll-Haufen stehen und sich fragen, wie es sein kann, dass man das, was man tut, so wenig liebt. Wer schon mal einen verliebten Gärtner mit strahlenden Augen vor seinen gesunden, starken Jungpflanzen hat stehen sehen, der weiß, wovon ich rede.

Gärtner haben es dabei irgendwie noch einfach, denn in unserer heutigen beschönigten, meta-ethischen Zeit, in der die Menschen ihre Ideale stets aus digitalem Material formen, sind wir noch nicht bei dem Gedanken angekommen, dass auch der Kohlrabi ein lebendiges Wesen sein könnte, dessen „Schlachtung“ – oder bekannterweise: Ernte dem Lebewesen Schmerz und Leid bereiten könnte. Möge keiner an der Stelle lachen, denn ich persönlich sehe es genauso. „Leben“ ist alles, was keimt, schlüpft oder geboren wird, heranwächst, sich entwickelt, ein Stadium der Reife erreicht, in dem es sich dann fortpflanzt, altert und schließlich irgendwann sterben würde. Oder vorher geerntet wird, oder geschlachtet, oder an Krankheit leidet und stirbt, was auch immer… welche Form von Leben hat nun tatsächlich mehr Achtung verdient, welche mehr Schutz? Das gekeimte Leben, das geschlüpfte Leben oder das Geborene? Welche Form von Tod ist „verabscheuungswürdig“, welche „human“, welche „natürlich“?

Meine persönliche Geschichte hier ist die von Miranda. Sie ist eine zweijährige Schafdame, die – wie ich gleich erzählen werde – nicht dazu kam, Lämmer zu bekommen. Sie lief also „heimlich“ in der Gruppe der Gnadenbrotomas mit und wohnte mit den werdenden und gewordenen Müttern im Stall. Die Schafherde, die ihre Familie ist, bringt Lämmer hervor und alle Bocklämmer davon werden geschlachtet. Bei einem Schlachter in der Nähe, wo sie recht bald nach der Ankunft auch jeder einzelne innerhalb von – hm? – vielleicht 30 Sekunden „hingefallen wurden“. Ich habe lange gesucht nach einem Schlachter, der den „Akt des Tötens“ schnell, sauber und ruhig beherrscht. Ich begleite meine Schlachttiere immer bis zu der Tür, wo das geschieht, den ein oder anderen sehe ich auch zusammenbrechen. Ja, es zerreißt mich jedesmal und die wenigen Schlachttage sind die schwierigsten Tage im Jahr. Aber eben eigentlich nicht schwieriger, als wenn ich an einem Tag ein Schaf verliere, um dessen Leben ich lange gekämpft habe, das ich tierärztlich versorgen lasse und dessen „Krankenpflegedienst“ ich übernehme, inklusive Spritzen geben, Fieber messen, füttern, waschen, betten und gutem Zuspruch. Wenn solch ein Schaf sein oder ihr Leben aushaucht, zerreißt es mir auch das Herz. Was habe ich schon „gestandene“ Böcke im Arm gehalten, als sie unter Krämpfen ihre Augen verdrehten und zuckend zum Erliegen kamen. Oder sanfte Mutterschafe, die sich mit großen Augen an meine Arme lehnten, ein letztes „es ist so schwer“ aushauchten und dann in meinem Schoß zusammensackten. Der Tod, der ist Teil von etwas Größerem, was wirkliches Leben ist. Der andere Teil davon ist die Geburt und die beiden können nicht wirklich ohne einander. Ich beschreibe das, weil ich denke, Miranda weiß ganz genau, was ich dazu denke. Natürlich nicht in meinen Worten, aber ich weiß nicht, wie ich das in schäfisch ausdrücken soll.

Miranda weiß genau, dass diese Herde, die ihre Familie ist, nur hier sein kann, wenn wir unseren Lebensunterhalt bestreiten. Das heißt, dieser Hof hier muss Bestand haben. Und ein Hof hat eben nur Bestand, wenn er Menschen ernähren kann. Das ist die älteste, ursprünglichste Form der Beschäftigung. Man macht Landwirtschaft, um etwas zu essen zu haben. Die Frage ist eben nur: wie, in welcher Art machen wir das?

Auf der Weide, auf der Miranda lebt, lebt auch die Schafstelze. Ich liebe diesen kleinen grünlichgelblichen Vogel, der zwischen den Kötteln der Schafe nach Nahrung sucht. Würden meine Schafe hier nicht weiden, hätte der kleine Vogel keinen Lebensraum hier. Miranda, ihre Herde und ich versuchen also, Fleisch zu erzeugen, was gut schmeckt und unter Bedingungen produziert wird, welche für alle Beteiligten Sinn machen. Und wir stehen damit für einen nachhaltigen und verantwortungsvollen Fleischkonsum ein. Was auch immer das heißt. Abgesehen davon, dass wir versuchen, pfleglich mit dem Boden umzugehen, indem wir ihn nur „sanft“ maschinell bearbeiten, ihn möglichst nicht zu verseuchen und nicht auszulaugen, müssen wir auch Tiere gesund halten, was Medikamenteneinsatz erfordert und wir müssen düngen, pflügen, schleppen, mähen – alles Dinge, die den Boden verdichten und in die Welt der Kleinstlebewesen eingreifen. Nachhaltigkeit ist nicht so eindeutig zu verstehen und noch etwas schwieriger umzusetzen…

Mit dem Fleisch ist es nun ähnlich. Wie gehe ich respektvoll und nachhaltig mit meiner Herde um? Tierschutz, Tiergesundheit und ein Leben, welches dem Tier entspricht? Und gleichzeitig: Ernte.

Im letzten Herbst, als für die Ernte ausgesucht werden sollte, hatte ich auf der Weide schon Tage vorher alle Schafe scharf beobachtet. Einige waren ganz klar Bleibende, bei manchen wollte ich noch mal sehen, was sich zeigt. Miranda war eigentlich in die Gruppe der „F1“ – Kreuzungen gedacht, die geht. In diesen letzten Tagen auf der Weide kam sie aber plötzlich zu mir. Ein sonst scheues Schaf, welches sich immer hinter ihrer Mutter versteckt hatte. „Mann“, dachte ich, „die ist aber echt schön. Ein Jammer, sowas kannste doch eigentlich nicht zum Schlachter fahren.“ Aber unsere Herde hat nur begrenzt Platz und wenn es zu viele Schafe sind, werden nicht alle satt. Miranda hörte meine Gedanken, aber sie ignorierte sie konsequent. Und ganz ehrlich: naja, ein Gnadenbrotschaf mehr oder weniger kriege ich auch noch satt. Die „Mutterschafplätze“ waren tatsächlich schon alle ausgebucht, denn es waren mehr als sonst (ja – blöd, wenn man sich nicht entscheiden kann, weil so viele tolle Jährlinge einen anblinzeln…) aber gut, dann stelle ich sie vielleicht zu den Omas, dachte ich und wollte noch die letzten drei Tage abwarten. Im Stall beim Sortieren kam sie dann ganz zu Anfang gezielt auf mich zugetrabt, blieb vor mir stehen und nickte fast zum Gatter, welches die Tür zur „Oma-Abteilung“ war. „da muss ich rein“ sagte sie und ich konnte sie nur – völlig überrumpelt – mit der Hand am Unterkiefer nehmen, mit der anderen Hand den Popo nachschieben – so wie man Schafe ohne Wolle ziehen eben am sanftesten befördert – mit dem Fuß das Gatter aufstoßen und das Schaf stand fröhlich auf der anderen Seite der Bucht. Jau, Miranda. So soll´s sein. … na denn.

Miranda (rechts) drängelt sich vor Nasreen (links) ins Foto

Wir hatten eine unglaublich schöne Winterzeit, Miranda und ich. Die Lämmer kamen, ich wuselte um die Mütter herum und Miranda hatte es sich in der Oma-Gang bequem gemacht, ab und zu ein Lamm bei sich vorbeidüsen lassen und hatte mit den anderen um den Hafer gerangelt, der täglich reichlich serviert wurde. Ein angenehmes Leben. Zwischenzeitlich hatte sie sich so sehr mit mir angefreundet, dass sie jedesmal im Stall zum Klönen und Streicheln vorbeikam und wenn die ihr beigemessene Zeit nicht als aureichend empfunden wurde, konnte sie das auch sehr deutlich klarmachen und knabberte meine Hosentaschen an. Es sind immer irgendwie besondere Momente, wenn Schafe sich selbst entscheiden, Freundschaft zum Menschen zu schließen. Miranda war kein Flaschenlamm, wurde also nicht auf den Menschen geprägt und hat die ersten anderthalb Jahre ganz eng mit ihrer Mutter verbracht. Und dann wagte sie den Schritt und wurde gehört. Von da an nahm sie fast denselben Platz wie die „alten“ besonderen Schafe ein und lag auch öfter mit denen herum. Und sie kam immer wieder soooo gerne zum Streicheln vorbei. Und dann?

Ja, manchmal sind die Dinge sonderbar. Ich weiß nicht, warum sowas geschieht. Es fing damit an, dass wir bei der kleinen Gruppe der Schafomas Klauen geschnitten hatten, da alle Mütter nach der Ablammung, bevor sie aus der Box wieder in die Herde kommen einmal die Füße gepflegt bekommen. Das ist herrlich einfach, man hat die Damen ja eh in der Hand und dann kann man auch gleich Pediküre machen. Die Gnadenbrotomis mussten nun auch noch dran. Als Miranda auf den Popo gesetzt wurde, hörte ich Lotta, meine Auszubildende, nur rufen „Miranda hat Durchfall!“ Häh? dachte ich, die ist doch ganz sauber hinten gewesen. Doch tatsächlich. Das Schwänzchen zeigte matschige Spuren. Musste also gerade erst losgegangen sein. Aber wovon um Himmels willen??? Futterveränderung gabs nicht. Würmer? Hm. Die anderen sind aber fit und gelammt hat sie auch nicht. Gut, ein bisschen pansenunterstützendes Mittel, ein Wurmmittel, reicht erstmal. Mal morgen sehen, einen Tag später ist es dann meist besser. War aber nichts besser. Ging von Tag zu Tag schlechter. Dazu kam hohes Fieber bis auf 41,4 Grad, sogenannte „Apathie“, „Freßunlust“ und Dehydration. Verdammte Scheiße – im wahrsten Sinne des Wortes.

Nochmal an die Sache ran. Bandwürmer? Es war zwischendrin heiß gewesen und diese kleinen Biester überlegen sich dann manchmal, aus ihrem Winterschlaf im Schaf aufzuwachen und Unsinn zu veranstalten. Also Bandwurmmittel. Aufgrund des Fiebers war Miranda natürlich auch schon unter Antibiose. Jeden Tag eine Spritze, sieben Tage lang. Jeden Tag füttern, jeden Tag Pansenunterstützung, jeden Tag säubern, denn wenn es warm wird, kommen Fliegen und setzen sich gerne an den Kotresten im Fell und später auf der Haut und noch später auch gerne Eier unter die Haut. Bzw. Larven, die dann unter der Haut krabbeln und das Schaf von innen aufessen. Sogar Babyschampoo kam zum Einsatz und Miranda wurde herrlich weiß geschrubbt. Am nächsten Tag war wieder alles matschig braun-grün. Und wir standen ratlos vor dem Schaf, während wir weiter um sie kämpften. Wir fütterten sie mit Heu, damit der Pansen nicht umkippt, stopften ihr lange soviel ins Mäulchen wie sie fressen konnte, dabei kamen auch manchesmal unsere Finger unter die Backenzähne. Aua. Miranda kaute nur langsam und nur so, als wäre sie im Delirium. Jeden Tag „Full-Service“-Wohlfühlbehandlung, viele Tage lang. Und wir fühlten uns, als würde das Schaf unter unseren Fingern zerrieseln wie Staub. Nicht einmal das Antibiotikum konnte etwas ausrichten. Nochmal verdammte Scheiße. Aber diesmal richtig. Das ist kein „normaler Durchfall“. Das ist irgendwas ernstes.

ein schönes Schaf, als sie noch fit und rund war…

Irgendwann kam eine ganz allmähliche Besserung ihres Allgemeinzustandes. Sie wurde wieder wach, ihre Augen waren wieder „da“ und sie kommunizierte wieder wie sonst auch, war aber sichtlich erschöpft von der Krankheit. Etwas abgemagert, aber ich hoffte, dass sich das bald wieder geben würde, wenn sie jetzt wieder selbst fressen konnte. Und weiterhin waschen, Vitamine, Pansenunterstützung. Tapfer wankte sie umher und suchte nach Fressbarem.

Und nichts wurde gut.

Seit Wochen ist sie nun krank, ihre Augen sind ganz eingefallen und wir wissen nicht, was es ist. Man könnte nun tausend teure serologische Untersuchungen machen, die eine Menge Geld kosten, aber bei der Mehrzahl derer dann doch oft nichts rauskommt. Ich habe schon verendete Böcke in pathologische Institute gebracht, nur um zu erfahren, dass er sich wohl irgendwie das Rückenmark gequetscht hatte. Da der Bock querschnittsgelähmt dalag, wusste ich das auch schon vorher. Einen verendeten Bock habe ich komplett zur Sektion gegeben, man fand Eichenblätter. Ja, toll. Die hatte er seit Jahren gefressen. Und alle anderen Schafe auch. Lassen wir das mit der Über-Wissenschaftlichkeit. Irgendwann kommt der Punkt, an dem „austherapiert“ ist. Wenn das Schaf komplett durchlöchert ist von Spritzen, wenn es alle Parasitenmittel intus hat, die der Tierarzt hergibt, wenn alle Kräuterchen nichts mehr bringen. Bei Menschen heißt so etwas dann Pallativbehandlung. Oder Sterbebegleitung. Viele andere Schäfer zücken schon lange vor diesem Punkt das Bolzenschussgerät und das Messerchen. Sie haben nicht ganz Unrecht, denn was für ein Leben ist das? Schmerzen, sich nicht bewegen können, das, was man gerne tun möchte, nicht tun zu können. Ich sehe Mirandas Schmerzen und sie tut mir unendlich leid. Ich habe auch schon Schafe „erlöst“, weil es nur noch Siechtum war. Aber bei Miranda ist es irgendwie noch anders.

Sie ist sehr schwach mittlerweile und liegt fast nur noch. Aber jedesmal, wenn ich komme, um ihr frisch gesenstes Gras, geschnittene Blätter und Wasser zu reichen, schaut sie mich fröhlich an, frisst, genießt die Streicheleinheiten und legt irgendwann immer ihren Kopf in meinen Schoß. Die Schmerzen haben sich reduziert und sie wackelt wieder öfter mit den Ohren. Wenn die Herde abends vom Grasen reinkommt, freut sie sich immer sehr, alle wiederzusehen und schaut aufgeregt von einer zur anderen. Sie weiß mittlerweile selbst, dass sie zu schwach ist, um mit raus zu gehen. Aber ihr Blick umarmt alle anderen, wenn sie in den Stall gelaufen kommen und alle anderen gehen immer nacheinander zu ihr hin, um sie zu begrüßen. Lämmer schnüffeln aufgeregt an ihr und erzählen ihr was, knabbern an ihren Ohren oder hüpfen frech trampelig über sie. Eine ihrer Schwestern kommt öfter und frisst mit ihr gemeinsam den Futterhaufen, den ich vor ihr ausgebreitet habe. Ja, sie fressen gemeinsam, die andere frisst ihr nichts weg, denn sie hört auf, bevor nicht mehr genug Futter vor Miranda liegt. Miranda genießt die gemeinsame Abendmahlzeit mit ihrer Schwester.

Und mir zerreißt es das Herz. Meine hübsche Miranda, die sich so anschmiegsam in eine Freundschaft mit uns begeben hatte. Und ich kann nichts mehr für sie tun. Sie wird wahrscheinlich gehen. Und ich werde mich von ihr verabschieden müssen.

Wieso sind es immer diese besonderen Tiere? Ich weiß es auch nicht. Im Herbst hatte ich schon Malin, mein damaliges Flaschen-Hauslamm, welches ein paar Wochen lang mit mir, meiner Tochter und den Hunden über den Hof gelaufen war, an Listeriose verloren. Total schräg. Listeriose auf der Weide, obwohl das eine ausgesprochene Stallkrankheit ist. Und nur sie. Niemand anderes gestorben, nur Malin, gerade tragend geworden, in bester Kondition und wir voller Neugier auf ihr Lamm. Drei Tage dauerte es – gerade als ich mich entschlossen hatte, dem Leiden ein Ende zu machen, da sie in sehr kurzen Intervallen nur noch krampfte, starb sie bei einem dieser Krämpfe in meinen Armen. Und jetzt im Frühjahr: Miranda. Manchmal kommt es einem vor, als wäre es zu hart. Irgendwann geht nichts mehr auf die Schäferhaut. Es ist nur noch fiese Gemeinheit.

Ich kann Miranda nicht „erlösen“. Noch nicht vielleicht. Mich zerreißt es nicht unbedingt nur, weil sie eben höchst wahrscheinlich sterben wird, sondern weil ich diese unerschütterliche Fröhlichkeit sehe, immer wenn die anderen Schafe nach Hause kommen. Diese Begrüßungen, die mitfühlenden Gesten der anderen und ihre Freude und ihr Strahlen, mit den anderen zusammen zu sein. Alles was zählt, ist die Freude bei seinen Lieben zu sein. Es geht um nichts anderes im Leben. Geburt, Krankheit, Tod, alles gehört dazu, aber die Freude an der stillen Gesellschaft mit denen, die man liebt, ist das allerwichtigste.

Zum Glück hat Miranda keinen Platz in der Muttergruppe erhalten, denn wenn sie nun ein oder zwei Lämmer hinterlassen würde, wäre es wirklich sehr hart. Lämmer, die frühzeitig ihre Mutter verlieren, gehen zwar irgendwan in der Herde auf, aber die ersten Nächte, in denen sie nach ihrer Mutter rufen, die nicht mehr antwortet, sind die grausamsten. Aber alles werden wir überstehen. Es gibt ein Schaf, welches seine Mutter auf solche Weise verlor und heute ist sie selbst Mutterschaf und döst abends neben ihrem Lämmern. Glücklich. Und einfach um eine Erfahrung reicher. Und so werden wir wahrscheinlich auch Miranda verabschieden und irgendwann später sie genauso liebevoll bedenken, wie die bereits verlorenen Schafe. Das Geheimnis ist ja immer, dass die Herde auch dann noch da sein wird. Und alle, die in der Herde leben, wollen leben. Und dafür muss der Alltag weitergehen und die Schafe etwas zu fressen bekommen. Es ist wichtig, nie die Freude daran zu verlieren, mit denen, die man lieb hat, einfach zusammen zu sein. Mit denen, die halt da sind. Niemand ist wichtiger oder weniger wichtig. Die Herde, das sind die, die jetzt da sind und die Herde will leben. Das ist Mirandas Geschenk, wieder daran erinnert zu sein.

Tode kommen überall vor, in verschiedensten Arten. Und eine Tierherde versorgt Menschen seit Jahrtausenden mit Fleisch, Wolle oder Fellen. So ist das bei den Hirten. Aber es ist eben auch dieses gegenseitige Geben und Nehmen, Leben und Tod mit den Tieren gemeinsam. Wenn wir heute über Preise reden, über behördliche Vorgaben, über Produkte und Qualitätsmerkmale, über Ideologien und über eigene Bequemlichkeiten, dann werden wir oftmals so unglaublich hart und kalt, fordern Dinge und verbieten und regeln gesetzlich. Und gleichzeitig soll der moderne, alternative, tierfreundliche und ökologische Fleischerzeuger nett zu seinen Tierchen sein, hübsche Bauernhofbilder machen und ihnen Wellness-Ställe bauen, die er eigentlich gar nicht bezahlen kann. Man soll eben sehen können, dass dem „Halter“ seine Tiere etwas bedeuten.

Aber was die Herde und einzelne Tiere einem tatsächlich bedeuten können, kann kein Stall der Welt, kein Managment von irgendwas, keine Qualitätskontrolle, kein Verterinärbefund jemals aussagen.

Ich tue was ich kann und ich tue das gerne. Ich kämpfe um jedes Tier, solange es sein muss – und manchmal kämpfe ich weiter, ohne zu merken, dass ich schon länger dabei bin, zu verlieren. Angestachelt von ihrer Zähigkeit und Tapferkeit gehe ich jeder Regung nach, die das Schaf zeigt, wenn es sich wieder berappeln will. Aber manchmal muss man sich wohl eingestehen, dass man nicht zaubern kann. Ich kann die Herde gesund erhalten, Unterstützung geben, wo nötig und der Rest ist Leben. Mit einem Großteil Liebe. Für das, was ich tue und für jedes einzelne Schaf.

Miranda heute in ihrem Krankenstall.

 

 

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

1 Kommentar

  1. gabi 15. Mai 2018

    da musste ich doch tatsächlich ein bischen weinen.
    Gruß Gabi

Schreibe einen Kommentar zu gabi Antworten abbrechen

© 2024 Die Schäferin vom WeidenHof

Thema von Anders Norén