Die Schäferin vom WeidenHof

Nebla und die Nebelschafe

Osterlamm

Es ist wieder Frühling, die Temperaturen und der Sonnenschein in den letzten Märztagen haben es eindeutig gezeigt. Meist geht das alles nochmal in den Keller, aber es war schon da, dieses Gefühl, wenn man von einem langen Tag draußen nach Hause kommt und die Haare nach Frühlingsluft riechen. Wunderbar. Hier auf dem Hof ist es auch überall zu spüren: Lämmer, Küken, Schneeglöckchen, Krokusse, Narzissen, die ersten Blüten der wilden Pflaume, der erste grüne Flaum auf den Weiden, vor Lebenssaft berstende, noch ganz winzige Knöspchen an den Sträuchern und Bäumen, knackende Kiefern, bald ein paar Gössel, im goldschimmernden Stroh und der Sonne dösende Kühe, gepflügte Äcker, Aussaat in der Gärtnerei, Nach- und Aussaat auf Wiesen und Feldern. Die ersten Hyazinthen kommen, Traubenhyazinthen, Anemonen wachen auf, Eichhörnchen und Singvögel turnen wieder auf der Terasse herum. Es ist Frühling!

Und somit ist es auch die Zeit für das beliebte Frühlingsfest, was wir gemeinhin Ostern nennen. Wir freuen uns mit allen Hofbewohnern über das berstende neue Leben, endlich ist der Winter so gut wie überstanden und man kann das erste Feuer abends draußen abhalten, ohne übermäßig dabei zu frieren…

Wenn man in Naturzusammenhängen arbeitet, bekommt man all das mit voller Wucht mit. Man riecht, man fühlt, man sieht.

Irgendwo hier habe ich schon einmal erwähnt, dass viele Menschen dieser Natur doch sehr entfremdet sind. Sehr schade. Und für viele auch oftmals selbst sehr schade, denn wir vom Hof erleben es immer wieder, dass uns Menschen besuchen, die hier förmlich auftanken und gespannt und interessiert an unseren Mitmachaktionen teilnehmen und sich eine Menge über das Leben mit Tieren und Pflanzen erzählen lassen. Immer wieder habe ich das Gefühl, sie gehen ein wenig „reicher“ wieder von hier weg. Natürlich nicht materiell. Um ein Lächeln reicher und um viele Gerüche und Gefühle.

Umso bedenklicher erscheint mir immer mehr die Tatsache, wieviel entfremdete naturschützerische oder tierschützerische Aktionen und Aktivisten es gibt. Erst neulich las ich – ich suchte eigentlich was zu Sehnenverkürzung bei Lämmern – zufällig einen Artikel einer Tierschutzorganisation, die eine Petition losschickte, in der gefordert wurde, dass „das grausame Abschlachten von Osterlämmern“ endlich aufhöre! Dazu ein Bild einer Moorschnuckenmutter mit zwei gerade geborenen Lämmern, vielleicht zwei, drei Wochen alt. Wahrscheinlich bin ich wegen dem Bild  der Schafrasse an dem Artikel hängen geblieben. Wie gerade bei mir im Stall.

Zugegeben, Osterlamm ist sehr lecker, aber diese Leute haben eindeutig das Thema verfehlt. Mein Schäferinnenkopf sank verzweifelt stöhnend auf die Tastatur.

Mir ist es auch schon untergekommen, dass man mich fragte: „Sag mal, du bist doch Schäferin – wie ist das denn, werden zu Ostern wirklich Lämmer geschlachtet? Diese kleinen süßen Lämmer?“ Aber das war im persönlichen Gespräch und ich würde auch niemanden dafür verurteilen, denn dieser Jemand zeugte ja mit seiner Frage davon, dass er/sie es gerne wissen wollte und sich schlau machte. Wir müssen nicht alles wissen, dafür haben wir einen Mund zum Fragen, aber sollten dennoch manchmal den Kopf einschalten. Von einer Tierschutzorganisation, die öffentlich auftritt und angebliche „Experten“ beschäftigt, erwarte ich allerdings anderes.

Also, um die Sache mit Ostern und den Lämmern mal richtig zu stellen – entschuldigung, ich muss leider etwas ausholen….

Vor langer Zeit, als unsere Altvorderen noch zu Ostern berauscht und eventuell sogar nackelich um und über Feuer hüpften, wurde die Göttin Ostara als Frühlingsbringerin  verehrt. Für sie wurde ein Fest abgehalten, da die Menschen in grauer Vorzeit ja keine Kalender aus schicken Buchhandlungen hatten, die den kalendarischen Frühlingsanfang meldeten. Oder Smartphones, die zu Ostern piepsen. Man musste schon seine Augen öffnen und konnte aufgrund des Lebensstiles auch gar nicht anders, als wahrzunehmen, was um einen herum geschah. So, wie oben beschrieben, platzte das neue Leben aus den eng geschnürten Winternähten. Endlich war es fühlbar und sichtbar, ein neuer Sommer würde kommen, alles würde wieder wachsen und gedeihen und man würde wieder leckerste Dinge anbauen können und die Herden waren gewachsen und brachten neue Herdenmitglieder, neue Muttertiere oder Schlachttiere hervor. Beides sehr willkommen. Angesichts dieser Freude darüber veranstaltete man also ein berauschendes Fest. In der christlichen Zeit war das dann alles ein bisschen zügellos und verpönt und man beschränkte sich lieber auf die Auferstehung – anstatt der Vielfalt von Leben – nur eines gewissen Herrn, der drei Tage zuvor gekreuzigt worden war. Ob das das tatsächliche Kreuzigungsdatum war, weiß niemand mehr, aber es passte ziemlich gut in den Kontext. Und da dieser Herr in der Gedankenwelt der neuen Ideologen auch noch die moralische Schuld, die einen einstweilen plagt, hinfortnimmt, war damit dieselbe ausgelassene Stimmung angesichts des aufkommenden Frühlings, wie zuvor auf dem Fest der Ostara. „Lamm Gottes, das du hinwegnimmst die Sünde der Welt…“ ich habe es noch im Ohr, mit meiner Oma war ich zu Kinderzeiten in der Kirche gewesen. Lamm Gottes – da steckt ganz viel dahinter. Sanftheit, Demut, Friedfertigkeit und das stille Leiden des Christus. Schafe – und Lämmer somit auch – sind sogenannte „stille Dulder“. Wenn Schafe Schmerzen haben, stöhnen sie nicht, sie knirschen nur mit den Zähnen. Lämmer schreien kaum, obwohl ihr Herz rast, wenn man schüchterne Lämmer einfängt, geben sie keinen Ton von sich. Und zu alten Zeiten war es eben sinnvoller, wenn die Lämmer am Frühlingsanfang geboren wurden. Da man nicht so viele Möglichkeiten der Zufütterung und mineralischen Versorgung hatte, wie es heute der Fall ist (z.B. haben die Menschen damals ihr Getreide ausschließlich selbst gegessen, war viel zu wertvoll – heute wird Futtergetreide angebaut), nutzte man die frisch aufkommenden Weiden gerne, damit die Muttertiere in der anstrengenden Zeit der Laktation gutes, eiweißreiches Futter vorfinden. So kamen die Lämmer eben im Frühling. Oder anders gesagt, eben dann, wenn Futter für die Muttertiere da ist, wie es auch heute noch bei den Wildtieren der Fall ist. Das Lamm wurde zum Sinnbild zur Auferstehung und Erneuerung des Lebens. Erst hier auf dem Hof wurde mir so richtig klar, warum Lämmer den Frühling bringen und warum wir alle Schokoladen-küken, -hasen, oder -lämmchen in bunten, mit Plastikgras ausgefüllten, schlecht golden-gelblich angemalten Körbchen verstecken.

Für die Semiten, die nun alte Hirtennomaden waren, ging die Fatsenzeit zuende. Das waren die, die später das „Lamm Gottes“ verehrten und zu der Gelegenheit dann auch gerne mal Fleisch und Festtagsgerichte zubereiteten.

Wie ist das nun, wenn man – so wie diese Hirtennomaden damals – hauptsächlich Schafe hält und einen Festtagsbraten für die ganze Sippschaft zubereiten möchte? Die damaligen Schafe waren sicherlich nicht so muskulär wie unsere heutigen Wirtschaftsrassen, vom Typ bestimmt eher wie eine dieser alten Landschafrassen.

Meine Moorschnucken – eine alte Landschafrasse – sind im Gegensatz zu Wirtschaftsrassen im Herbst noch kaum schlachtreif. Ja, könnte man bei manchen machen, aber man kann sie auch noch über den Winter bringen. Man sortiert halt aus, die dicken sind schon, die mickerigen lassen wir nochmal, sofern sie ansonsten gut beisammen sind. Es ist halt ein Gefühl dafür, was sich im Laufe des Zusammenlebens mit den Tieren entwickelt. Meist „lohnt“ sich das Warten und man hat im kommenden Frühling, wenn die Schafe ein Jahr alt sind, mehr davon. Ist so. Was soll ich sonst mit all den Bocklämmern machen?

Nun ist es aber auch so, dass „Lammfleisch“ eine Bezeichnung für Fleisch von Schafen ist, die ungefähr bis ein Jahr alt sind. Wenn ich irgendwo Lammfleisch bestelle oder kaufe, kann ich davon ausgehen, dass es ein dreiviertel- bis einjähriges Schaf war. Ja, es gibt auch Fleisch, welches von Tieren stammt, die jünger sind, das nennt sich dann „Milchlamm“ und soll etwas Spezielles sein. Diese Lämmer werden im Alter von 4 bis 6 Monaten geschlachtet, da sind sie von ihren Müttern abgesetzt und die Böckchen sind teilweise schon geschlechtsreif. Weit weg also vom Bild der niedlichen kleinen puscheligen Lämmchen, auch wenn sie noch eher kleine Schafe sind. Müssen aber schon ein besimmtes Gewicht erreicht haben, sonst lohnt der ganze Aufwand ja nicht. Finde ich persönlich nicht so toll, aber gibt es auch. Nur kann kein Lamm zu Ostern im April schon 6 Monate alt sein, dann müsste es ja im Oktober geboren worden sein, da ist die Schafbrunft aber erst noch im vollem Gange. Und Lammzeit ist meist im Februar/März. Jetzt kann man über die verschiedenen modernen schaf-wirtschaftlichen Vorgehensweisen diskutieren, aber wir waren ja bei den alten Hirtennomaden und dem, was ich von mir und anderen, mir bekannten Schäfern kenne. Außerdem ist es merkwürdig: Der Schlachter stöhnt schon bei alten Landrassen, wenn man Schlachttiere lebendig verkauft, müsssen die ein gewisses Gewicht auf die Waage bringen, sonst fährt der Schlachter wortlos wieder weg. Wenn ich meinem Schlachter nun Moorschnucken-„Milchlamm“ bringe, zeigt der mir schlichtweg nen Vogel.

Zurück zu unseren Hirtennomaden. Wahrscheinlich werden diese dann eines (oder zwei, drei) ihrer einjährigen Schafe genommen haben und „Lammfleisch“ daraus gemacht haben. Beim Schaf beträgt die Ausschlachtung, also was vom geschlachteten Schaf dann übrigbleibt, wenn Haut und Wolle, Kopf und Füße abgetrennt und Innereien entnommen wurden, circa 50 %, plusminus. Das heißt mit stark vereinfachten Zahlen, wenn ich ein lebendiges Schaf hatte, was circa 50 kg wog, kann ich circa 25 kg „Schlachtkörper“ erhalten, da sind teilweise die Knochen noch dabei. Schnucken sind klein und zierlich. Ihre Schlachtkörper betragen im Schnitt 12 bis 16 kg. Je älter das Tier im Zeitraum des Aufwachsens bis zum Schlachten war, umso größer und damit schwerer war es. Wenn man nun seine Großfamilie, die benachbarte Großfamilie und eventuell noch andere Freunde einlud, kommen einige Menschen zusammen, die so ein Tier auch locker aufessen können.

Und nun zurück zu meinen Lämmchen im Stall. Ja, die Bocklämmer sind diesem Schicksal zugeteilt, aber es gibt auch die neuen Mädchen, bei denen ich immer gespannt beobachte, wie die sich so entwicklen. Wenn es spürbar Frühling ist, ist Lämmerzeit und Muddi-Zeit und alles hüpft und springt, Die Zeit des Absterbens ist vorüber, die jährigen Bocklämmer sind schon geschlachtet und im Herbst würde wieder aussortiert werden, aber bis dahin kommt erstmal noch ne Menge anderes, was gerade ziemlich viel mit „Leben“ zu tun hat. So sind nun mal die Kreisläufe.

Wenn ich meine kleinsten Lämmer anschaue, und überlege, wieviel Kokzidienmittel die brauchen, denn das wird nach Körpergewicht berechnet, dann haben die nicht viel. Vielleicht rechne ich mit 7 oder 8, bei den größeren Lämmern mit 15 kg Lebendgewicht. Ein drei komma fünf Kilogramm schwerer Schlachtkörper? Was bleibt da dran, wenn man die Knochen wegmacht? Die „normale Lammkeule“ wird in den meisten Rezepten für 4 Portionen mit ca. 1 bis 1 1/2 kg angegeben. Ein Lamm hat – um die Rechnung zu vereinfachen – vier Keulen, bzw. Beine, deren Schultern und Keulen zum Braten verarbeitet werden können. Sind schonmal mindestens vier Kilo. Ein Schlachtkörper beinhaltet aber noch den Rücken (die Koteletts), die Rippchen, Bauchfleisch, Nacken, …. Außerdem sieht man an der Größe der Keule im Topf , dass das kein zwei, drei Wochen altes Lamm gewesen sein kann.

Und wieviele von denen müsste man schlachten, um eine solche Sippschaft nach der großen Fastenzeit satt zu bekommen? Welch eine Verschwendung! Ich glaube nicht, dass Hirtennomaden so etwas bescheuertes gemacht haben und ich glaube auch nicht, dass es irgendwo Tradition ist, diese puschligen, kleinen Lämmchen abzuschlachten. Was sollte man denn dann bitteschön mit der Mutter machen? Mit zwei, drei Wochen alten Lämmern, wie auf dem Bild der Tierschutzorganisation, steht sie voll in der Milch und beim Schneller-laufen hopst ihr Hinterteil immer hoch und unter der langen Wolle hüpft ein dickes Euter hoch- und runter. Wenn man der nun die Lämmer wegschlachtete, ist die Euterentzündung vorprogrammiert. Ob die alten Hirtennomaden, die jahrhundertelang mit ihren Tieren umhergezogen sind, ihre Schafe derart verschwendet und in Gefahr gebracht haben? Ich wage es zu bezweifeln.

Die Quintessenz des Ganzen ist nun:

Geht raus und fragt die Schäfer. Lasst Euch Lämmer zeigen und haltet sie mal auf dem Arm, fühlt, wie schwer (oder leicht) die sind. Dann schaut Euch 9 Monate alte Lämmer an. Das sind schon richtige Schafe. Lass Euch nicht von sogenannten Tierschutzbildern an der Nase herumführen. Bei ernstgemeinten Fragen antworten die Schäfer gerne. Fragt lieber die. Und die können auch über wirklich relavante Dinge berichten, wie man das Leben der Schafe besser gestalten kann.

Schaffleisch – oder Lamm – vom „heimischen Schäfer“ zu kaufen würde z.B. viel sinnvoller sein, als Petitionen gegen das ominöse österliche Lämmerschlachten zu machen. Lammfleisch aus’m Lidl aus Neuseeland könnte durchaus eine üble Geschichte haben, aber dazu ein andern Mal. Also, auf zum nächsten Bio-Schäfer oder Landschaftspflegebetrieb oder Wanderschäfer. Dort Osterlamm bestellen und man bekommt gutes Fleisch von circa dreiviertel- bis jährigen Schafen, die auf artenreichem Grünland geweidet haben.

Esst Euer Osterlamm und genießt es. Es hat symbolischen Charakter, genauso wie die süßen Zuckerwerke aus Hefeteig in Form von Lämmern, die mancherorts noch gebacken werden. Und freut Euch an den realen Lämmern, die puschelig umherhüpfen und das Aufkommen neuen Lebens anzeigen. So wie alles neu erwacht in der Natur. Und natürlich werden diese niedlichen Lämmchen nicht geschlachtet, die dürfen nun erstmal dem Sommer entgegen sehen und mit der Schafmama gemeinsam die aufkommenden Weiden erkunden. Während die Schafmama ihrerseits ihre Fastenzeit mit konserviertem, getrocknetem Futter unterbricht und aus dem Winterschlaf erwachte Grashalme und frisch gekeimte oder kürzlich gewachsene kleine Baby-Bäumchen zwischen ihren Zähnen zermalmt – äh, Entschuldigung – begierig das frische, zarte Grün wegknabbert. Frühling halt. Alle freuen sich.

 

 

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3 Kommentare

  1. Richard 15. April 2017

    Ach Du „Schäferin vom Weidenhof“,
    liebe Anke,
    Danke für Deine Worte!!!
    Es tut mir immer soooo GUT Deine Worte lesen zu dürfen!
    Freue mich schon auf Deine zukünftigen…..!
    Liebe Grüße
    (AN ALLE Weidenhöfler!)
    Richard

    • Schaeferin 15. April 2017 — Autor der Seiten

      danke, richard.
      wie immer: ich freu mich, wenn du dich freust!
      schöne ostern euch.
      …und nicht den hasen aufessen, bevor der mit eierlegen fertig ist 😉
      liebe grüße
      anke

  2. Carla 9. März 2018

    Was für ein schöner Text ..da hüpfen einem die Lämmchen förmlich auf den Arm.
    Ich hoffe der eine oder andere verinnerlicht das !

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