Die Schäferin vom WeidenHof

Nebla und die Nebelschafe

You and me

Manchmal bindet man sich, ohne es zu bemerken. Vor allem, ohne zu bemerken, wie heftig diese ganze Angelegenheit im Laufe der Zeit doch geworden ist. Das ist komisch, vor allem, wenn man sowieso die ganze Zeit über die Bindung zu seinen Tieren nachdenkt. Immer geht es um diesen ganzen Kommunikationskrams zwischen den Wesen. Sei es bei der Arbeit, wenn man überlegt, wie man die Tiere möglichst so „händelt“, dass sie entspannt da durchkommen, was auch immer man vorhat. Sei es, dass man sich überlegt, was für die einzelnen Tiere am besten ist und wer sich mit wem wohl am besten verträgt. Oder auch einfach zwischendurch, wenn man sich überlegt, wie man das Wesen seiner Tiere noch besser verstehen kann, um sie wirklich kompetent und artgerecht zu pflegen und das Zusammenleben mit ihnen zu entwicklen. Natürlich ist einem dabei klar, dass man eine Bindung zu ihnen hat und man denkt darauf herum, wie diese Bindung denn nun genau aussieht. Und so macht man das alles tagein, tagaus, denkt, arbeitet, probiert aus, denkt weiter und die Jahre streichen dahin. Tiergenerationen kommen und gehen, Schafe werden älter, kommen und gehen und manche Muttertiere, die jahrelang treue Herdendamen waren, bekommen schiefe Zähne und erhalten das Gnadenbrot. Und dann trifft einen die Erkenntnis, die man ja eigentlich schon halb erkannt hatte, weil man es selbst gebetsmühlenartig immer wieder psamoldiert hatte: irgendwann braucht man einen neuen Hütehund, denn der eigene wird ja auch nicht jünger…. Aber man hatte es bisher erfolgreich immer wieder weggeschoben, schonmal zaghaft nach neuen Welpen Ausschau gehalten und dann wieder alles beim Alten belassen. Wieso eigentlich? Und wenn man den Gedanken nun wirklich nicht mehr wegschieben kann und versucht, konkret zu werden, bekommt man plötzlich so einen merkwürdigen Stich im Herzen und fühlt sich plötzlich unendlich traurig und selbst hundeelend. So ein Mutterschaf wegzugeben ist schon schwer. Es in Rente gehen zu lassen, sprich das Gandenbrot zuzuteilen, hat mit Wehmut zu tun. Aber den eigenen Hund zu pensionieren, ist fast, als würde man sich einen Arm abschneiden. Und dann weiß man plötzlich ohne zu denken, was „Bindung“ zu einem tierischen Mitbewohner bedeuten kann.

Um das Ganze thematisch ein wenig klarer zu machen: Schäfern geht meist irgendwie nur, wenn man Schafe gerne hat, denn es ist ein wenig einträgliches Geschäft. Wenn man dann tagtäglich mit diesen Tierchen zusammen ist, kennt man sie, ist an sie gewöhnt, hat seine Lieblinge und seine Pappnasen, die immer irgendeinen Blödsinn machen. Soweit alles sehr menschlich. Und dann haben Schäfer meist noch so Hunde dabei, die den Schäfern helfen, die Schafe zusammen zu halten, von A nach B zu bringen, in den Stall zu „drücken“, zu sortieren oder whatever… Mit diesen Hütehunden ist es nochmal was ganz besonderes – denn die sollen ja tun, was man ihnen sagt. Aber so, dass dabei etwas Sinnvolles herauskommt. Das geht nur mit Kommunikation, gegenseitigem Verständnis und gemeinsamen Arbeiten. Arbeitshunde heißen sie deswegen, aber was das in Wirklichkeit bedeutet, wird mit diesem Wort auch nicht nur annnähernd ausgedrückt.

Langsames Arbeiten auf kleiner Fläche, um die Schafe langsam aufzunehmen und zu bugsieren…

… oder High Speed, um unterwegs auf offener Fläche alle beisammen zu halten.

Klar, im Prinzip ist es einfach. Der ganze Hokuspokus beruht nur auf wenigen Fakten: ich schicke den Hund nach links oder nach rechts, er läuft idealerweise einen schönen weiten Bogen, um die Schafe nicht aufzuschrecken, aber dann gezielt „auf die Nase“ zu nehmen und dort zu balancieren – möglichst als Pulk, der dann auf mich zugerollt kommt und genau dahin brandet, wo ich ihn hinhaben will. Das kann direkt auf mich zu sein, um eine Kurve, durch einen Graben, entlang eines Zaunes oder nicht hinter eine unsichtbare Linie des zu verschonenden Futterangebotes, oder auch von mir weg auf die Weite des Graslandes. Dafür dirigiere ich den Hund mit links, rechts, geradeaus, leg dich hin, hör auf Druck zu machen, presch nach vorne, geh geradewegs weiter, mach links-rechts-Schlenker und all den Kombis aus Hütekommandos, die dann den Hund und die Schafherde tanzen lassen. Einem guten Hund kann ich dabei auch sagen, dass er das ausgebüchste Schaf einsammeln soll, das Lamm zu mir herbringen oder schnell hinter mich hüpfen soll, um hinter mir „dicht“ zu machen. Oder ich kann meinem Hund sagen, dass er schnell über den Zaun zu mir springen soll, um mir zu helfen, oder über den Zaun wieder zurück, weil ich ihn außerhalb des Schafbereichs haben will.

Yippieh! Fertig – ab nach Hause…..

Der ganze Krams halt auf Englisch, weil die meisten Hunde das so beigebracht bekommen, zumindest die Borders. Naja, mein Hund versteht aber auch, wenn ich ihm auf Deutsch zurufe: „Aaarrgh, Shep – schnell, hol die zurück!!“ weil ich beim Zaunstecken nur im Augenwinkel mitbekommen habe, dass da zwanzig Wollnasen eine Bresche schlagen, wohin der Rest der Meute auf gar keinen Fall folgen soll. Da hab ich dann manchmal so schnell nicht das passende englische Kommando parat. Aber wie gesagt, mein Hund versteht sogar das, läuft los und holt die wieder.

Hier kommt keine Schafnase durch….

Das alles ist nicht immer nur einfach und toll, da gibts auch genug Gelegenheiten, zu denen man mit dem Hund mal uneins ist – oder Schäfer und Hund mit Sauerbiermiene nach Hause trotten. Manchmal, wenn der Hund schon alt ist, hat der kein Bock mehr, dem Revoluzzer-Lamm hinterherzulaufen. Oder der Hund hat kurzfristig mal rechts und links verwechselt. Oder es ist heiß, die störrischen Schafe gehen ihm auf den Sack und es gibt  blutige Nasen oder Ohren. Bei besonders hartgesottenen Schafen (oder Ziegen) gibts dabei auch mal ausgefallene Hundezähne. Zahnlosigkeit ist sowas ähnliches wie die anerkannte „Berufskrankheit“ von arbeitenden Border Collies. Die Berufsgenossenschaft sind dann liebevolle Schäfer, die dem pensionierten Hund von da an jeden Tag eingeweichtes Futterpassata reichen und für ein entspanntes Rentnerdasein sorgen. Genauso muss es sein und nicht anders. Denn erst, wenn man nach ein paar Jahren zurückblickt, fällt einem auf, was es bedeutet, einen „Arbeitshund“ zu haben.

Schöner weiter Bogen, um die Schafe ruhig immer in Richtung Schäfer*in zu halten

Aber nochmal zu dem alltäglichen Kommunikationskrams, um die Bedeutung dieser Bindung zu verstehen. Diese Frage nach dem „Wie?“ gehe ich mit den Tieren um – sei es beim Klauenschneiden bei den Schafen, die ich möglichst schnell, stressfrei und und für die Schafe sozusagen „kurz und schmerzlos“ so behandeln will, dass die Tiere ein möglichst positives Signal bekommen. „Ok, Mähdels, ich muss euch mal kurz auf den Popo setzen und ein bisschen stressen, aber das ist alles gar nicht schlimm, entspannt euch.“ Das ist bei einer zusammengepferchten Schafherde gar nicht so einfach. Da geht es um gute Organsiation, sichere Handgriffe, behutsames Händling und beherztes Zupacken. Viel Köpersprache, Vertrauen, auch in die eigenen Fähigkeiten und so etwas wie eine „weiche Stärke“. Bei den Arbeitshunden ist das alles ganz ähnlich. Aber die Hunde sind nochmal mehr Kopfarbeit, bei gleichzeitiger innerlichen Entspanntheit und Klarheit. Auch da muss alles gut organisiert sein, aber die gemeinsame Taktik muss stimmen, ich muss immer eine Zehntelsekunde vorher wissen, wo ich wen hinhaben will und das bereits dem Hund mitgeteilt haben. Man muss aufeinander eingespielt sein, mit einem Kopfnicken manchmal etwas anzeigen können, was der Hund versteht und umsetzen kann und gleichzeitig fühlen, wie gut es gerade zwischen mir und dem Hund „fließt“, damit ich ihm auch mal einen schärferen Ton zuwerfen kann, wenn er zu selbständig hütet oder ihn bestärken, wenn er grad verunsichert ist, damit wir effizient weiterarbeiten können.

In ständiger Kommunikationsbereitschaft

Immer mal passiert irgendein Schrott. Man selbst ist müde, unkonzentriert, genervt, versteht den Hund nicht, hat keine Geduld mit dem Hund oder der Hund ist müde, hat kein Bock mehr, hat nicht mitbekommen, dass man mit den Gedanken schon ganz woanders ist oder was auch immer…. dann rennen Schafe weg, düsen am Zaun vorbei, brechen durch – auf das frische Futter und verheddern sich im Netz, der Hund hat doch zu heftig zugeschnappt, obwohl man da grad echt kein Bock drauf hatte, oder was auch immer…. Beim nach Hause gehen denkt man meist darüber nach, was genau jetzt falsch gelaufen ist und wie man das das nächste Mal verändern kann. Und so entwickelt man sich eigentlich – fast ohne es zu bemerken – beständig weiter. Und wächst beständig fester mit dem Hund zusammen.

Mit der Schafmeute, die kleine Lämmer führt, zwischen zwei Hängern hindurch und an den Kühen vorbei…

oder auch störrische Schafe zum Rückzug bewegen…

… na also, geht doch!

Und dann ist irgendwann dieser Hund alt, zahnlos, etwas grau um die Nase, aber eigentlich läuft der doch wie immer. Naja, fast. Wenn man genau hinguckt, sieht man, dass das Fell etwas strubbeliger ist. Die Hosen sind ganz schön ausgefranst. Und die Pfoten ganz schön breit geworden, die Nase ist dick und knubbelig. Und eigentlich sind die Augen ein bisschen zusammengekniffen. Manchmal könnte man meinen, er stakst ein bisschen in der Hüfte nach dem Arbeiten. Läuft alles nicht mehr so geschmeidig. Und wenn man bis dahin dachte, das schöne schwarze Fell glänzt doch noch, dann guckt man mal einen Jungspund an und sieht wieder, wie ein richtig glänzendes Arbeitshundefell aussieht.

Und eigentlich springt der auch nicht mehr so an einem hoch. Meist hebt er noch den Oberkörper, bringt die Pfoten nach oben, lässt sich hinter den puscheligen Ohren kraulen und rutscht dann wieder auf seine Viere. Was aber unermüdlich bleibt, ist dieser Blick, der vielleicht altert, ja – aber uneingeschränkte Bereitschaft zeigt. Zu allem. Bis zuletzt. Für immer.

hat alles unter Kontrolle….

Irgendwie rutscht man selbst innerlich auf seine Viere, wenn man das sieht. Gibt es sowas irgendwo anders? So eine unerschütterliche Bereitschaft, da zu sein, komme, was da wolle? Koste es, was es wolle und fordere es, was es wolle? Solch ein: „Egal was – ich lass dich nicht im Stich.“ Ja, man kann gerne darüber debattieren, ob es Sinn macht, den Tieren solch ein vermenschlichendes „Denken“ in den Mund zu legen, aber andererseits frage ich mich, wer unter den Menschen dazu in der Lage wäre, für jemand anderen mit einem frisch ausgeschlagenen Zahn, den bluttropfenden Mund ignorierend, solange weiterzumachen, bis die Sache „erledigt ist“. Oder aus dem Schlaf gerissen zu werden, ohne auch nur eine einzige protestierende Silbe aufzuspringen, ins Stockdunkle zu rennen, und die komplette ausgebüchste Schafherde innerhalb weniger Minuten wieder vollständig an Ort und Stelle zu befördern, dafür mit einem kurzen „sehr gut“ abgespeist zu werden und dabei auch noch so übergücklich zu sein. Wenn man ein paar Jahre mit solchen Geschichten und dem Alltagskrams zusammen verbracht hat, merkt man irgendwann, dass da ein dickes, fettes Band gewachsen ist. Es gibt da keine Frage mehr, wer hier was für wen tut. Oder warum oder ob, oder was man dafür zurückbekommt. Alles unwichtiger Schnickschnack. Einfach nur wir beide. Wir machen das – zusammen! Wir beide.

 

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6 Kommentare

  1. Mareike 28. Juni 2017

    Das hast Du wunderschön geschrieben! *schnüff* Ja, der Shep ist ein ganz besonderer Hund 🙂

    • Schaeferin 4. Juli 2017 — Autor der Seiten

      hallo mareike,
      danke! ja, ist er – deswegen fällt mir das mit seiner rente so schwer… aber wir zwei reden da abends immer drüber, mal sehen, vielleicht lässt er sich noch überzeugen 😉

  2. Sabine 7. Dezember 2017

    ein schöner Blog und ein wunderbarer Beitrag, danke dafür!

    Und wie kann ich jetzt die neuesten Beiträge abonnieren, bitte?

    • Schaeferin 8. Dezember 2017 — Autor der Seiten

      vielen dank für die rückmeldung! abbonieren geht bisher leider noch nicht, aber ich kümmer mich gerne darum. gerade werden die mähdels bei mir noch winterfein gemacht und dann schau ich nach dem abo. bis dahin muss ich leider vertrösten. die neuesten einträge werden aber auch auf der fb-seite unseres hofes verlinkt:
      https://www.facebook.com/WeidenHof.solidarische.landwirtschaft/
      viele grüße!
      anke

  3. Monika Ebeling 2. Februar 2021

    Liebe Anke, ich lese deine Beobachtungen der Schafe mit Hund so gerne. An dir ist ein Poet verloren gegangen. Ich liebe Schafe auch, habe aber keine in meiner Wohnortnähe. Deshalb genieße ich deine Berichte so sehr. Und leider wohne ich viel zu weit weg von euch. In meiner Nähe gibt es auch keine Solawi. Deshalb genieße ich deine Berichterstattung immer wieder gerne.
    Bleib gesund und liebevoll. Liebe Grüße Monika Ebeling

    • Schaeferin 3. Februar 2021 — Autor der Seiten

      liebe monika,
      ganz herzlichen dank! bleib auch du gesund und freue dich weiterhin an den texten! unseren fokus auf schönes und positives setzen ist derzeit das beste, was wir tun können. liebe grüße anke

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